Zum Hauptinhalt springen

Aue-Stürmer Harun Isa: „Herr Lindemann, was hab isch gemacht?”

„Isa schlug in Aue ein wie eine Bombe. Er hat den Unterschied gemacht, außerdem wurde er flink Publikumsliebling”, schreibt Lutz Lindemann in seinem Buch „Optimist aus Leidenschaft” über den Stürmer aus dem jetzigen Nordmazedonien. Dabei spielte Harun Isa nur eine Saison lang, 1999/2000, für die Veilchen, erzielte bei 27 Regionalliga- Einsätzen aber zwölf Tore und wurde von den Fans zum Spieler des Jahres gewählt. „Es war eine sehr schöne Zeit in Aue, sobald das wieder möglich ist, werde ich wieder mal hinfahren, auch um das neue Stadion zu sehen”, sagt der 51-Jährige am Telefon in seiner Heimatstadt Tetovo, wo er mit seiner Frau und drei Kindern lebt und mit seinen beiden Brüdern ein Fahrzeugteile- Unternehmen erfolgreich leitet.

eine Szene aus der Begegnung vom 25. März 2000 gegen den 1. FC Union Berlin (2:1 für die Auer). Vergeblich versucht Tom Persich den Mazedonier zu stoppen. Foto: Frank Kruczynski

Stichwort Tetovo, die Stadt mit gut 50.000 Einwohnern liegt zu Füßen des zweieinhalbtausend Meter aufragenden Šar-Planina-Gebirges und gehört 1969, als Harun da am 21. Juni 1969 geboren wird, zur jugoslawischen Republik Mazedonien. Dort leben mehrheitlich Albaner, auch Isa gehört zu dieser Nationalität. Für alle seine Spielgefährten ist der Fußball der beste Freund, doch erst als 14-Jähriger kickt er aktiv im Verein Ljuboten Tetovo. Ein Kultklub, 1919 gegründet und damit der zweitälteste in ganz Jugoslawien. Mit 16 schafft er es in die erste Mannschaft, ist nach einem Jahr Stammspieler. Heute trainiert Sohn Armir in diesem Verein, der 14-Jährige ist wie der Papa Stürmer. Harun absolviert das Gymnasium, geht mit 19 zum Jugoslawien-Zweitligisten Lirija Prizren. 1990 erfüllt sich sein Traum von Liga eins, der FK Rad aus Belgrad verpflichtet ihn. Manche seiner Teamkollegen werden Stars: „Miki” Stevi? bei Borussia Dortmund, Jugovi? (Inter Mailand), Drulovi? (FC Porto)… Real Oviedo hat Isa im Visier, doch der Deal platzt. Harun geht zu KF Prishtina, dann bricht der Balkankrieg aus und der junge Fußballer ist 1992 froh, in Deutschland sein Brot mit Fußball verdienen zu können. Berater Fali Ramadani vermittelt den Wechsel zu Hertha Zehlendorf, wo der Mazedonier in zwei Jahren 46 Einsätze bestreitet und 26mal trifft. Er trägt maßgeblich bei zum Aufstieg in die Regionalliga Nordost, wird in der damals dritten Liga zweitbester Saisontorschütze. Spätestens jetzt hat ihn Hertha BSC auf dem Kieker, wohin der 25-Jährige 1994 in die 2. Bundesliga wechselt. Bereits zwei Jahre zuvor war er dort im Gespräch, es gab aber Probleme mit der Arbeitserlaubnis und weil er zuvor wegen des Krieges kaum spielen oder trainieren konnte, war der Angreifer nicht topfit. Trotz 29 Einsätzen und fünf Toren in der Serie 1994/95 kann der Offensivmann bei Hertha BSC nicht voll überzeugen, was ihm in den folgenden vier Jahren umso besser bei Tennis Borussia gelingt. 103 Punktspiele und 30 Tore, dazu der Zweitligaaufstieg 1998 sind die beachtliche Bilanz des Stürmers. „Egal wo ich spielte, ich habe immer hundert Prozent gegeben”, sagt er heute am Telefon.

Vorm Anpfiff der Partie gegen den FC Sachsen Leipzig wird Harun Isa am 19. Februar 2000 als Aues Fußballer des Jahres 1999 geehrt. Das anschließende Punktspiel entscheiden die Hausherren im Erzgebirgsstadion mit 4:2 zu ihren Gunsten. Foto: Frank Kruczynski

Einen solchen Offensivmann sucht FCE-Manager Lutz Lindemann für die Auer Mannschaft, die sich in der Saison 1999/2000 für die künftige Regionalliga Nord qualifizieren soll. Harun kommt gern, ist er bei den Berlinern in Liga zwei doch nur mehr Ergänzungsspieler. „Bei einem Freundschaftsspiel gegen Hertha Zehlendorf ist er mir erstmals aufgefallen, er war schnell. … Sein Berater hat gesagt, er ist zu haben, er muss mal aus Berlin raus”, schreibt Lindemann in seiner Biografie „Optimist aus Leidenschaft”. Als Harun Isa dann ein paar Jahre später, 1999, in Aue einflog, wurde Lutz mehr als bestätig: „Er schlug ein wie eine Bombe.”

Aues zweifacher Torschütze Harun Isa versucht Frank Baldauf auszutanzen. Am Ende siegen die Auer in der Partie am 16. Oktober 1999 mit 4:0.

Und auch dem Neuen gefiel es im Erzgebirge, er schwärmt gut drei Jahrzehnte später: „Alle waren sehr nett, vor allem die Frauen in der Geschäftsstelle. Ich erinnere mich noch gut an Lutz, die Brüder Leonhardt und vor allem an „Zimbo”, den Zeugwart, an Spielerkollegen wie Udo Tautenhahn, Hagen Schmidt, Dirk Böhme, Jörg Kirsten oder meinen Landsmann Borislav Tomoski, der auch aus Tetovo stammt.” Dass er ein Spaßvogel ist, weckt die Sympathien zusätzlich. „Der verrückte Isa", sagte Trainer Gerd Schädlich und das klang überhaupt nicht streng oder gar böse. Auch wenn ich schon nach einem Jahr zurück nach Berlin zog, war ich in Aue immer mit ganzem Herzen. Ich habe mein Brot in jedem Verein mit Leidenschaft und vollem Einsatz verdient, so haben mich meine Eltern erzogen. Aber in Aue hat mich beeindruckt, wie eine ganze Region den Fußball und den Klub liebt, dieses Feuer kannte ich von TB nicht. Hinzu kommt, dass wir Erfolg hatten und das Saisonziel, die neue dritte Liga, geschafft haben.”

Ein Missverständnis schildert Lindemann in seinem Buch. Dabei geht es um Zuschauer, die das Training beobachten und kommentieren. Danach kam Isa einmal erbost zu Lutz, was sich in „Optimist aus Leidenschaft” so liest: „,Herr Lindemann, was hab isch gemacht? Sitzen immer diese alten Leute unten, gucken und sagen zu mir: Hör auf! Wollen die mich nicht?’ – ,Ich sag, was hast du denn gemacht?’ – ,Oh, bei Torschuss geht Ball rein und die rufen Hör auf!’ – ,Ich sag, das geht doch nicht, das machen die nicht, du bist ihr Held!’ Ich bin dann zu den Rentnern hin. Es hat sich rausgestellt, die riefen nach seinen Toren nach alter erzgebirgischer Tradition ,Glück auf!’” Nach jedem Spiel sei Harun mit seinem schnellen Audi TT nach Berlin gefahren, schreibt Lindemann an anderer Stelle: „Ich bin eine gute Typ, Herr Lindemann, ich habe nur mit Rücken. Ich muss zu meinem besten Masseur nach Berlin." – ,Wenn du tausend Kilometer fährst, steckt eine Frau dahinter.’ – ,Nein, Rücken. Lass mich bitte fahren, mache alles, bin der Beste.’ Er kam immer pünktlich zurück. Sein spezieller Dank folgte im Spiel gegen Sachsen Leipzig. Extra für mich hob er den Ball aus vierzig Metern ins Tor.” Harun hat diese Szene nicht vergessen, ebenso wie viele andere. Darunter den Doppelpack gegen den Dresdner SC.

„Heimweh nach Berlin hatte ich nicht, nur nach Tetovo, deshalb lebe ich wieder dort. Nach Berlin bin ich 2000 wegen Union, das war mein Traumverein schon 1992 gewesen. Das Angebot musste ich annehmen”, begründet Isa seinen Abgang nach nur einem Aue-Jahr. Die Fans im Erzgebirge schätzten ihn trotzdem, ihren Spieler des Jahres 1999. Im Februar 2000 ehrten sie den Sieger der Umfrage des Fanprojekts. Tatsächlich waren die beiden Jahre an der Alten Försterei die sportlich erfolgreichsten. Mit den „Eisernen” stieg er in die 2. Bundesliga auf, mit 13 Saisontreffern trug der Mazedonier seinen Teil dazu bei. Insgesamt kam der Angreifer in den beiden Jahren dort auf 22 Tore in 62 Punktspielen. Ultimativer Höhepunkt aber war das DFB-Pokalfinale gegen Schalke 04 im Mai 2001. Und einen Spitznamen verpassten ihm die Union- Fans: „Wir hatten irgendwo ein Testspiel und der Stadionsprecher verhaspelte sich, so wurde aus Harun ,Hartmut’ Isa.”

Die Auer Mannschaft in der Regionalligasaison 1999/2000, jeweils von links – hintere Reihe: Mannschaftsbetreuer Bernd Zimmermann, Borislav Tomoski, Harun Isa, Rico Reinold, Steven Zweigler, Jörg Kirsten, Marian Pagels, Co-Trainer Holger Erler; mittlere Reihe: Trainer Gerd Schädlich, Ronny Kretschmer, Holger Hasse, Marek Nowacki, Frank Seinig, Udo Tautenhahn, Hagen Schmidt, Enrico Barth, Masseur Jens Borchert, Physiotherapeutin Simona Hofmann; vordere Reihe: Valeriy Lakhmay, Uwe Kramer, Rüdiger Huster, Sven Beuckert, Dirk Böhme, Steffen Binke und Peter Heidler. Foto: Burg

2002 wechselte der Stürmer zum VfL Osnabrück und durfte auch 2003 dort einen Zweitligaaufstieg feiern. Noch in der Regionalliga Nord gab es ein Aufeinandertreffen mit den alten Auer Kollegen. Am 10. August 2002 siegten die Niedersachsen mit 4:1, Harun steuerte einen Treffer bei und nach Gründen der Niederlage gefragt antworte FCE-Coach Gerd Schädlich: „…weil wir keinen Harun Isa mehr im Team haben.” So die Erinnerung des Spielers. Osnabrück freilich bedeute das Karriereende: „Im Oktober 2003 erlitt ich einen Kreuzbandriss. Danach habe ich nicht mehr gespielt und noch heute Probleme mit dem Knie.”

Aufmerksam verfolgt er dank TV und Internet die Spiele seiner deutschen Ex-Vereine. „Ich war zwei-, dreimal in Aue und würde gerne wieder mal hinfahren, schon, um das neue Stadion zu sehen. Vielleicht sogar in der ersten Liga. Union hat das schließlich auch geschafft, warum soll das Aue nicht möglich sein?” Zusammen mit seinen Brüdern Netko und Marem führt Harun ein größeres Unternehmen für Autoteile in Tetovo, darum bleibt wenig Zeit für Hobbys. Mit seiner Frau hat er zwei Mädchen und einen Jungen. Der ist Nachwuchskicker, wie schon erwähnt. Statt mit Fußball hält Harun sich mit Radfahren fit, spielt gern Schach und würde jetzt gerne die warme Balkansonne genießen. Jedoch: „Zum Glück ist die Familie gesund. Aber richtige Frühlingsgefühle kommen auch bei uns nicht auf, die Pandemie und ihre Folgen haben uns alle fertiggemacht.”

Text: Olaf Seifert