Aues Kampf um die 2. Bundesliga 1991
Im Mai 1991 kam es zum Showdown in der zweitklassigen NOFV-Liga, Staffel B. Noch 30 Jahre später sorgen die Erinnerungen an die aus Auer Sicht unschönen Szenen und wie sie zustande gekommen sind für Kopfschütteln.
Die Saison 1990/91 war die letzte Spielzeit der zweithöchsten Klasse der DDR. Da im Laufe der Saison die Wiedervereinigung vollzogen wurde und der Deutsche Fußball-Verband der DDR dem Deutschen Fußball-Bund beitrat, diente der neugegründete Nordostdeutsche Fußballverband (NOFV) als offizieller Namensgeber für die einstige DDR-Liga. Nach dem bitteren Abstieg im Mai 1990 stellten sich Wismut-Routiniers wie Torwart Jörg Weißflog, Steffen Krauß oder Libero Volker Schmidt mit dem Trainerduo Jürgen Escher und Konrad Schaller der Herausforderung in der DDR-Liga, Staffel B. Anfänglich lief es ganz gut, doch als es nach dem Spitzenspiel (2. gegen 4.) zu Hause gegen Kali Werra Tiefenort (7:0) Anfang Oktober eine Serie von drei Unentschieden gegen Suhl 0:0/A, Nordhausen 0:0/H und Meißen 2:2/H gab, platzte nach der 3:4-Niederlage beim Chemnitzer SV (Nachfolger von Motor Fritz-Heckert Karl-Marx-Stadt) die Bombe. Nach diesen vier sieglosen Spielen war die Stimmung auf dem Nullpunkt. Eine Woche später entluden sich kräftige „Gewitter” im Lößnitztal. Vorm Abschlusstraining zum Liga-Heimspiel gegen Sömmerda mussten die Trainer Jürgen Escher und Konrad Schaller sowie Manager Reinhard Meindl ihre Sachen packen. Juniorentrainer Heinz Häcker fungierte als Interimscoach, konnte aber auch nicht die 1:2-Heimniederlage gegen den Tabellenfünften verhindern. Es sollte die letzte sein im weiteren Saisonverlauf.
Fünf Tage später hatte Aue einen neuen Trainer: Klaus Toppmöller, 39 Jahre alt, verheiratet und Vater dreier Kinder. Der ehemalige Bundesligaspieler mit 204 Einsätzen und 108 Toren für den 1. FC Kaiserslautern war in Aue kein Unbekannter. Erst Ende September 1990 stand er in der Uwe-Seeler-Traditionself mit Karl-Heinz Rummenigge, Paul Breitner und Wolfgang Overath bei einem Benefizspiel auf dem Rasen des OttoGrotewohl-Stadions. Seine wichtigste Aufgabe sah der neue Trainer darin, dazu beizutragen, dass die Spieler schnell den Kopf freibekommen, selbstbewusster auftreten und sich auf die Stärken besinnen, die Wismut Aue seit vielen Jahren auszeichneten. 80 Prozent wird mit dem Kopf Fußball gespielt, so seine Erfahrung.
eines von vier Mannschaftsfotos in der Toppmöller-Ära. Mit diesem Kader auf dem Foto, das vor dem Heimspiel gegen Stahl Riesa im März 1991 entstand, bestritten die Veilchen die Rückrunde. Foto: : Archiv Burg
Deshalb wollte Klaus Topmöller in Einzelgesprächen jedem Spieler seine Verantwortung vor Augen führen. „Aue ist für mich das Schalke des Osten Deutschlands. Deshalb wollen wir durch gute Leistungen jeden einzelnen Zuschauer zurück gewinnen”, sagte der Trainer gleich nach seinem Antritt am 29. November 1990. Das Ziel Staffelsieg und 2. Bundesliga, so sein Eindruck in den ersten Tagen im Lößnitztal, habe der FC Wismut noch nicht aufgegeben. Schon in seinem ersten Spiel in Dessau sollte die Aufholjagd beginnen. Doch gegen den FC Anhalt reichte es nur zu einem 1:1. Man hatte sogar noch Glück, weil es nach dem Ausgleich der Gastgeber in der 79. Minute noch einmal brenzlig wurde für die Veilchen, die ab der 27. Minute in Unterzahl spielten. Mit 15:11 Punkten verharrte der FC Wismut auf dem 5. Tabellenrang.
Stefan Persigehl, Aues bester Schütze in jener Saison, nach der Partie gegen den Chemnitzer SV (1:1). Mit 23 Treffern stellte er eine Bestmarke in der Auer Fußballgeschichte auf. So viele Tore gelangen bis heute keinem Spieler innerhalb einer Punktspielrunde. Foto: Frank Kruczynski
Eine Woche später kam es zum brisanten Duell gegen den Erzrivalen aus Zwickau. Auch wenn die Bedingungen bei einer knöcheltiefen Schneedecke eigentlich dem Zufall Tür und Tor öffneten, einen gerechten Sieger fand das Spitzenspiel allemal. Für die Wismut-Männer war es ein lebensnotwendiger Erfolg. Entsprechend engagiert gingen sie zu Werke. Es war schon eine Art Endspiel am vorletzten Spieltag der Hinserie. Toppmöller ahnte da schon: „Zwickau wird wohl unser härtester Gegner bis zum Schluss bleiben.” Für die Auer war ihr 76. Pflichtspiel gegen die Westsachsen (davon 69 Punktspiele in der Oberliga) eines der wichtigsten überhaupt. Dreimal beobachteten sie den Nachbarn – mit Erfolg. Mit 5:3 Toren gewannen die Erzgebirger das Derby. „Dieser Sieg nutzt uns nur etwas, wenn wir so engagiert weiterspielen. Erst wenn wir auch in Weimar gewinnen sind wir auf dem richtigen Weg”, schaute der Neu-Trainer voraus. Denn in Weimar sollte sich auch entscheiden, ob „Toppi” in Aue bleibt, denn er hatte das Amt nur vorläufig bis zum Ende der Hinrunde übernommen. Eine Woche später, im Auswärtsspiel auf dem Lindenberg in Weimar, schaffte die Mannschaft dann endlich den ersten Auswärtssieg (3:0) der Saison. Das Spiel Zwickau gegen Tiefenort fiel aus, so ging der FC Wismut mit 19:11 Punkten als Tabellendritter in die Winterpause. Zweiter war Zwickau mit 21:7 Zählern und ganz oben stand die TSG Meißen mit 22:8. In der Winterpause verlängerte Toppmöller seinen Vertrag in Aue, er hatte Blut geleckt. In dieser zweimonatigen Pause bewegte der prominente Ex-Fußballprofi aus Rheinland-Pfalz einiges im Lößnitztal. Jedenfalls schien sein Optimismus eine solide Grundlage zu haben: „Wir wollen Staffelsieger werden und dann über die Relegation den Sprung in die zweite Bundesliga schaffen. Alle Spieler sind topfit aus der Vorbereitung auf die zweite Serie herausgekommen. Wir haben gegen höherklassige Mannschaften zum Teil sehr gut ausgesehen. Jetzt müssen wir noch die Zuschauer zurückgewinnen, damit Wismut Aue wieder die Fußballmacht wird, die es mal war.” Ein wichtiger Schwerpunkt in Trainer Toppmöllers bisheriger Arbeit lag im psychologischen Bereich. John Bemme, der in der Versenkung verschwunden war, fischte der Coach wieder heraus, weil solche spielerisch begabten Typen in sein Konzept des offensiven, siegorientierten Fußballs genau passten.
Nach dem erfolgreichen Rückrundenstart unter Flutlicht gegen Wismut Gera (2:0) am 1. März 1991 kehrte bei den Auer Mannschaft das Selbstvertrauen zurück. Alle glaubten fest daran, dass der Staffelsieg noch erreicht werden könne. Toppmöller meinte nach dem Sieg: „Wir haben verdient gewonnen. Die Aggressivität in den Zweikämpfen stimmte. Kompliment an Dirk Vollmar, der ein Riesenlaufpensum absolvierte, und an die Zuschauer, die uns großartig unterstützten.” Die beiden Tore fielen aus Standardsituationen. Reichel schmetterte kurz vor der Halbzeit einen zu kurz abgewehrten Eckball unter die Latte und Persigehl köpfte in der 61. Minute einen Freistoß von Volker Schmidt ins Netz. Dem Geraer Torhüter Gottschalk war es zu danken, dass sich die Niederlage der Thüringer in Grenzen hielt. Die 3.600 Zuschauer an einem Freitagabend waren für Ligaverhältnisse beachtlich. Eine Woche zuvor, am 24. Februar, fiel der eigentliche Rückrundenstart (unter anderem Ilmenau gegen Aue) den widrigen Platzverhältnissen zum Opfer. Alle Spiele in den beiden Ligastaffeln A und B fielen somit komplett aus.
Die nächsten Begegnungen gegen Riesa/H, Borna/A und Thale/H gewann Aue. Rivale Zwickau zeigte ebenfalls keine Blöße und gewann mit Neutrainer Gerd Schädlich, der seit Januar 1991 das Sagen beim FSV hatte, konstant. Spätestens als Zwickau mit 4:0 bei der TSG Meißen siegte, war es nur noch ein Zweikampf zwischen Aue und Zwickau um den begehrten ersten Platz, der zur Aufstiegsrunde für die 2. Bundesliga berechtigte. Doch ausgerechnet als Zwickau doch mal patzte wie Ende März in Sömmerda (1:1) und Aue den Abstand etwas verkürzen konnte, leisteten sich die Veilchen eine Woche später, am Karfreitag, ebenfalls einen Ausrutscher. Nach dem torlosen Remis beim 1. FC Markkleeberg stapfte Toppmöller ohne ein Wort zu sagen in die Kabine. Zwickau siegte zeitgleich mit 2:1 im Heimspiel gegen Dessau.
Dann kamen die Thüringer Wochen für den FC Erzgebirge. Viermal in Folge ging es gegen Mannschaften aus diesem Bundesland. 20:4 Tore und 7:1 Punkte lautete die Bilanz. Allein Stefan Persigehl traf in Ilmenau (10:1) und in Tiefenort (5:1) jeweils viermal. Im Heimspiel gegen Suhl reichten zwei Tore von René Hecker nicht für einen fest eingeplanten Sieg. Nach 2:0 für Aue in der 54. Minute stand es am Ende 2:2. So blieb es beim alten Punkteabstand. Aue besaß kurzfristig ein deutliches Plus in der Tordifferenz, jedoch konnte dies Zwickau im Nachholer aus der Hinrunde gegen Tiefenort (4:0) und auch gegen Ilmenau (9:0) ausgleichen. Zudem bekam der FSV zwei Punkte am grünen Tisch. Das Heimspiel gegen Suhl war Anfang April ausgefallen, weil die Suhler Amateure nicht anreisen konnten, was lange vorher bekannt war. Diese Begegnung wurde für Zwickau mit 2:0 Toren und 2:0 Punkten für gewonnen erklärt.
Ende April konnte Aue den Rückstand auf zwei Punkte verkürzen. Die Veilchen mussten zum Tabellenfünften Meißen, die Westsachsen zum Siebenten nach Gera. Nach zuletzt schwachen Spielen der Meißner hatten sich die Gäste aus Aue diese Aufgabe sicherlich leichter vorgestellt, zumal bei den Gastgebern vier wichtige Spieler fehlten. Die Domstädter waren mit ihren schnellen Kontern über Stolze und Hollmann stets gefährlich und Aues Keeper Weißflog musste einige Male sein ganzes Können aufbieten, um einen Rückstand zu vermeiden. Das Spielgeschehen schien sich schon auf ein Unentschieden einzupegeln, ehe in der 89. Minute René Hecker eine Flanke von der Grundlinie mit platziertem Kopfball zum 1:0-Auswärtssieg abschloss. Rivale FSV verlor einen Tag später mit 1:3 in Gera. Doch in der Woche darauf folgte der Euphorie Ernüchterung. Im Handstreich wollte man durch einen Heimerfolg gegen den Chemnitzer SV mit Ex-Wismut-Trainer Manfred Fuchs an die Tabellenspitze, und wenn es nur für eine Nacht gewesen wäre. Daraus wurde aber nichts. Vier Minuten vor Schluss fiel der 1:1-Ausgleich, der aber keinen Katzenjammer auslöste. Trainer Klaus Toppmöller hielt die Hoffnung hoch: „Noch ist nichts verloren. Die Entscheidung wird erst im vorletzten Spiel in Zwickau fallen und da haben wir noch unsere Chancen.” Von ihm und seinen Assistenten Heinz Eisengrein und Holger Erler würde in den nächsten Wochen vor allem pädagogisches Geschick gefordert sein, um die Mannschaft für die Endphase zu motivieren. Deshalb kündigte der Auer Trainer – übrigens damals neben Uwe Reinders in Rostock der einzige aus den alten Bundesländern im ostdeutschen Fußball – an, mit jedem Spieler Einzelgespräche zu führen und sie auf das Kommende einzuschwören. Mit einem würde er das etwas ausgiebiger machen müssen: seinem Kapitän und Torhüter Jörg Weißflog, dem ehemaligen DDR-Auswahlkeeper. Bei ihm wechselten Licht und Schatten zu rasch. Noch in Meißen rettete er mit glanzvollen Paraden den Sieg. Nun leistete er sich einen kapitalen Fehler, der zum Ausgleich führte.
Das 1:0 in der 51. Minute besorgte übrigens André Köhler, der einen Freistoß von Jens König am langen Pfosten einköpfte. Jener Köhler verließ im Sommer 1989 die Wismut-Mannschaft bei einem Intertoto-Spiel in Göteborg und flüchtete mit seinen Mannschaftskameraden Jens König und Thomas Weiß nach Kiel. Über die Stationen St. Pauli und Stuttgart kam er zu Eintracht Frankfurt. Dort erhielt er einen Profivertrag bis 1992, bekam aber keine Einsätze. Im November 1990 ließ er sich ins Lößnitztal zum FC Wismut ausleihen, obwohl auch der FC Sachsen an ihm dran war, aber Aues damaliger Manager Reinhard Meindl war schneller als die Leipziger. Köhler bestritt in der Saison 17 Spiele und erzielte drei Tore. Nach dem Rückschlag gegen den Chemnitzer SV war klar, dass sich Aue keinen Ausrutscher mehr leisten durfte. Es folgten zwei hauchdünne 1:0-Siege kurz vor Toresschluss. In Sömmerda erlöste Jozef Medgyes zehn Minuten vorm Abpfiff seine Mannschaft und im folgenden Heimspiel gegen Dessau war es Steven Zweigler, der in der 89. Minute nach der 28. Ecke das erlösende Siegtor erzielte. Trainer Klaus Toppmöller sprach nach dem Match vom schwersten Spiel seiner Trainerlaufbahn: „Ich habe gelitten wie nie zuvor.” Jubel in Aue, als das Ergebnis aus Thale bekannt wurde: Zwickau büßte beim 0:0 dort einen Punkt ein.
Nun kam es also zum ersehnten und vermutlich entscheidenden Meisterschaftsspiel in der Ligastaffel B zwischen Tabellenführer FSV Zwickau (44:12 Punkte, plus 44 Tore) und dem Tabellenzweiten FC Wismut Aue (42:14, plus 43 Tore). Die Zwickauer hatten die große Chance, bei einem Sieg Staffelsieger zu werden, diese günstige Gelegenheit wollte man sich natürlich nicht entgehen lassen und zudem für die 3:5-Hinspielniederlage in Aue Revanche nehmen.
Skandalspiel in Zwickau am 22. Mai 1991. Polizei muss eingreifen, um Schlimmeres zu verhindern. Auf nebenstehender Seite zwei Schlagzeilen aus der „Freien Presse” vom 24.05. sowie (nach dem Verbandsgerichtsurteil) vom 30.05. Foto: Frank Kruczynski,
Doch Wismut Aue hieß dann der große Sieger des vorletzten Spieltags aus sportlicher Sicht. Die Zwickauer, die schon in Thale keine gute Figur gemacht hatten, wurden in keiner Phase der Partie Herr ihrer Nerven und damit ihrer spielerischen Mittel. Schreiber setzte, nachdem es schon 2:0 für den Gast stand, einen Elfmeter in die zweite Etage. Als sich die Schädlich Schützlinge wenigstens einigermaßen gefangen hatten, war das Spiel schon entschieden. Zuvor verteilten sie an den Rivalen aus Aue Einladungen zum Toreschießen en masse, die der Gast auch konsequent annahm. Innerhalb von drei Minuten erzielten Steven Zweigler per Kopf und René Hecker nach klassischem Konter mit scharfem Flachschuss die Auer Tore eins und zwei. Als König mit einer direkt verwandelten Ecke den unsicheren Heinrich im FSV-Tor überlistete, war die Entscheidung praktisch gefallen. „Konter kalt wie Hundeschnauze”, lobte Trainer Toppmöller. Zwar schöpften die Gastgeber noch mal Hoffnung, als Schreiber mit einem Freistoßtor verkürzte, aber auch in der zweiten Hälfte ließen sich die Erzgebirger nicht mehr in Bedrängnis bringen, kontrollierten das Spiel und besaßen selbst noch Möglichkeiten. Stefan Persigehl holte wenige Minuten vorm Abbruch mit seinem 22. Saisontor den vierten Treffer heraus und belohnte die disziplinierte Leistung seiner Mannschaft. Die über 11.000 Zuschauer erlebten dann aber gegen 18.50 Uhr im Zwickauer Georgi-DimitroffStadion eine Fußballtragödie. Beim Stande von 4:1 für Wismut Aue musste der Dresdner Referee Klaus Peschel die Begegnung abbrechen. Schon zur Halbzeitpause entlud sich der Zorn jugendlicher Zuschauer und Randalierer über die konfuse Leistung ihrer FSV-Mannschaft in einer Steineschlacht mit Anhängern in der Auer Fankurve. Hier waren Polizeikräfte präsent und hatten die Lage noch im Griff. Als kurz nach Wiederanpfiff durch den völlig überforderten Schiedsrichter Peschel zwei Randalierer über den Absperrzaun kletterten und quer über das Spielfeld liefen, erkannten die Verantwortlichen immer noch nicht die Gefahr. Während eines Handgemenges zwischen den Spielern beider Mannschaften nach dem Platzverweis für den Auer Köhler stürmten zum Teil vermummte Rowdys auf den Platz, machten Jagd auf die Auer Spieler und das Schiedsrichterkollektiv.
„Das habe er bisher noch nicht erlebt", meinte der damalige FC-Wismut-Geschäftsführer Lothar Schmiedel, nach seinen Worten sei am Donnerstag oder Freitag nach dem abgebrochenen Spiel mit der Verhandlung des Vorfalls vor dem Sportgericht des Nordostdeutschen Fußball-Verbands zu rechnen. In einer offiziellen Stellungnahme forderte der FC Wismut eine sportlich gerechte Entscheidung. Nach Meinung des Geschäftsführers könne es nicht sein, dass Zwickau nach den Sonntagspielen möglicherweise mit einem besseren Torverhältnis den Staffelsieg erringt. Betont wurde durch die Geschäftsleitung außerdem, dass kein Aue-Fan das Spielfeld betreten habe, wofür den Wismut-Fanclubs nach Lothar Schmiedels Worten Dank gebühre. Über mehrere Wochen hinweg hatte der FC Wismut die Begegnung vorbereitet, stand ständig im Kontakt mit den Fanclub-Leitern.
Während die Spieler, nachdem sie vom Feld geflüchtet waren, unter der Dusche standen, wurden vor dem Stadion die drei Busse mit AueFans mit Steinen beschossen und quasi fast völlig entglast. Die Bilanz: vier verletzte Spieler des FC Wismut, elf zerschlagene Seiten- und vier beschädigte Frontscheiben. Auf mindestens 30.000 D-Mark wurde der durch Zwickauer Randalierer verursachte Schaden an den Bussen des Wismut-Transportunternehmens geschätzt. „Wir können uns nicht so recht freuen über diesen Sieg, wenngleich wir sportlich die eindeutig bessere Mannschaft waren”, kommentierte Klaus Toppmöller. „Ich habe in meiner Laufbahn, so unter anderem in Kaiserslautern auf dem Betzenberg, viele Schlachten geschlagen, doch das hier hatte mit Fußball nichts mehr zu tun”, fügte er enttäuscht hinzu. Erst mehr als eine Stunde nach dem Spiel konnte sich der Auer Mannschaftsbus in Bewegung setzen, ohne Gefahr zu laufen, von Chaoten demoliert zu werden. In einem Gespräch mit dem verantwortlichen Einsatzleiter der Polizei stellte dieser heraus, dass bereits mit Bekanntwerden des Spiels im April seitens der Polizei darauf hingewiesen wurde, dass mit Ausschreitungen zu rechnen sei und der bauliche Zustand des Stadions den minimalen sicherheitstechnischen Erfordernissen für die Durchführung des Spieles nicht entsprechen würde. Bekannt sei das Problem seit 1983, es ließe sich auch nicht mit mehr Ordnungspersonal kompensieren. Daraufhin sei geraten worden, den Ort der Begegnung zu verlegen. Nach der Festlegung, dass das Treffen doch im Zwickauer Stadion durchgeführt werde, habe man in Beratungen mit dem Veranstalter vereinbart, dass ein erhöhter Kräfteeinsatz der Polizei und ein verstärkter Ordnerdienst durch den Veranstalter erforderlich seien. Durch den Veranstalter wären insgesamt 115 Ordner, Kraftsportler und Judoka zugesichert worden, die laut Einsatzkonzept an neuralgischen Punkten wie an Einlasskontrollen, Aufgängen, der Pufferzone zwischen den Fanblocks und dahinter aufgeboten werden sollten. Aber, so der Einsatzleiter, all diesen Forderungen sei der Veranstalter nicht konsequent nachgekommen. Die Polizeikräfte mussten situationsbedingt diese Aufgaben mit übernehmen, um Ordnung und Sicherheit von Beginn an zu gewährleisten. Der Polizeieinsatz auf dem Spielfeld in der zweiten Halbzeit habe sich daher verzögert.
Zwickau kam glimpflich davon. Das Spielgericht beim Nordostdeutschen Fußball-Verband entschied zwei Tage später, am Freitagnachmittag: „Das in der 66. Minute abgebrochene Spiel in der Liga Nordost, Staffel B, zwischen dem FSV Zwickau und dem FC Wismut Aue geht mit dem Stand von 4:1 für Aue in die Wertung. Darüber hinaus werden dem FSV sicherheitstechnische Auflagen erteilt. Außerdem erhält der FSV Zwickau eine Geldstrafe in Höhe von 1.250 DM als Quittung für mangelnde Sicherheitsvorkehrungen. Das Georgi-Dimitroff-Stadion bleibt für den Fußball-Spielbetrieb bis zum 9. Juni gesperrt. Solange die zusätzlich erteilten Auflagen hinsichtlich Ordnung und Sicherheit unerfüllt bleiben, dürfen auch keine Aufstiegsspiele und DFB-Pokalspiele ausgetragen werden.” Es blieb aber ein fader Nachgeschmack, weil Zwickau mit einem möglichen hohen Sieg in Tiefenort nach Toren durchaus noch Platz eins erreichen konnte. Der FC Wismut Aue aber war nun bei gleichem Punktekonto mit fünf Plustoren in der Vorderhand.
Der FSV Zwickau musste im letzten Punktspiel beim faktisch abgestiegenen Tabellenvorletzten Kali Werra Tiefenort antreten. Im Otto-GrotewohlStadion wurden die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt, da es Hinweise gab, dass Hooligans ähnlich wie in Zwickau versuchen wollten, den Ablauf des Spiels durch Randale zu stören. Wie Polizeioberrat Horst Schröder, der Leiter des Polizeikreisamts Aue, informierte, würden 200 Kräfte im Einsatz sein, darunter 100 vom Bundesgrenzschutz. Aus Gründen der Sicherheit bleibe am Sonntag der Eingang zum Stadion aus Richtung Lößnitz geschlossen. Spieler Michael Geßner, der am Mittwoch von Randalierern brutal zusammengeschlagen worden war, erlitt ein Schädelhirntrauma und konnte nicht aufgestellt werden. „Wir haben es jetzt dank unserer sportlichen Überlegenheit in Zwickau in der Hand, den Staffelsieg und damit die Qualifikation für die Austiegsrunde zu erreichen. Da lassen wir keine Luft mehr ran”, fasste Toppmöller seine Gedanken vorm Spiel gegen Weimar zusammen. In diesem übernahm Wismut gegen den Tabellenzehnten Motor Weimar nach verhaltenem Beginn bald die Initiative. Immer wieder über beide Flügel angreifend, wurden zahlreiche Chancen herausgespielt. Das Eckenverhältnis von 25:4 am Ende sagt alles. Viele Bälle strichen um Haaresbreite am Weimarer Kasten vorbei, in dem mit Steffen Kraus der Held des Tages stand. Doch als in der 37. Minute die Gäste einen Freistoß blitzschnell ausführten, war es der aufgerückte Verteidiger Zeißmann, der das überraschende 0:1 erzielte. Aue, vom Gegentor unbeeindruckt, konterte sofort. Stefan Persigehl erzielte nach einem schönen Solo zwei Minuten später den verdienten Ausgleich. Drei Minuten später blieb ein Handspiel im Strafraum der Gäste durch den Schiedsrichter ungeahndet. Nach dem Ausgleich besaßen König und Zweigler noch vor der Pause Möglichkeiten zur Führung. Zwickau führte in Tiefenort im Parallelspiel zur Halbzeit mit 4:0 und lag somit wieder an der Spitze.
Die zweite Halbzeit begann mit einem wahren Feuerwerk der Platzbesitzer, das König und Medgyes in Tore umsetzten und Aue damit wieder auf Platz eins schossen. Der FSV holte mit dem 5:0 und 6:0 auf. Aue lag immer noch vorn, dann brachten aber drei Treffer innerhalb von drei Minuten den FSV auf Platz eins. Auch in der Folgezeit war Aue klar dominierend, aber es reichte nur noch zum 4:1 durch Zweigler (88.). Der Stürmer erinnert sich Jahrzehnte später: „Wir haben schnell gemerkt, dass es an diesem Tag nicht einfach war, die Tore zu schießen. Schon zur Halbzeit hing bei uns der Segen schief.”
Dabei hatten sich die Auer vorbereitet, um immer zu wissen, wie es in Tiefenort stehe. Handys gab es damals noch nicht. Nachwuchstrainer Heinz Häcker bekam also vom Schmiedel, Loth den Auftrag nach Tiefenort zu reisen. „Mein Fahrer war Günter Rother von der Wismut. Nach jedem Zwickauer Tor rannte ich im „Waldstadion Kaffeetälchen” ins Sportlerheim, um den aktuellen Spielstand nach Aue durchzugeben. Während ich telefonierte, passte der Günter auf, denn es fielen ja laufend Tore. Es war wie das Hornberger Schießen in Tiefenort. Im Prinzip war Kali Werra ja schon abgestiegen. Kaum dass ich am Telefon war, schlug es schon wieder im Kasten von Tiefenort ein.” Heinz rief dann immer in der Auer Geschäftsstelle an und gab den Stand durch. Dieser wurde gleich runtergemeldet ins Stadion.
Aues Stürmer René Hecker, 27 Einsätze und acht Tore in jener Saison, erinnert sich an eine Szene in der 2. Halbzeit an der Trainerbank. Toppmöller meinte, „wir können führen wie wir wollen, es ist sinnlos. Da muss irgendwas laufen in Tiefenort.” Als auf der Anzeigetafel im Auer Lößnitztal das 9:0 der Zwickauer gegen Tiefenort erschien, stürzte eine Welt zusammen. Es herrschte totale Ruhe im Stadion. Tränen stiegen in die Augen der Spieler und natürlich der Fans, während die Begegnung gegen Weimar noch lief. Trauer, Resignation, Unverständnis. „Toppi” sprach später in Bezug auf die Bestrafung Zwickaus von einer „fatalen Fehlentscheidung, die uns tief ins Herz trifft”. Am Ende fehlten Aue zwei Tore, denn Zwickau hätte bei gleicher Tordifferenz immer noch die Nase vorn gehabt, weil sie mehr Treffer (77 gegenüber 73) erzielt hatten. Aues aktueller Rekordtrainer Gerd Schädlich, damals der Coach in Zwickau: „Wir haben vor unserem Spiel in Tiefenort nur gesagt, dass wir von Anfang an Gas geben und Tore schießen müssen. Erst nach dem Spielende haben wir uns nach dem Ergebnis in Aue erkundigt.”
Drei Tage später verhandelte das Schiedsgericht des NOFV die Vorfälle des Spiels des FSV gegen Aue vom 22. Mai. Das Präsidium des FC Wismut hatte gegen das Urteil der Rechtskommission des NOFV protestiert und gefordert, den Fall neu zu verhandeln. Das Schiedsgericht als nächsthöhere Instanz kam dem Einspruch nach. Auch gegen die 2:0-Wertung des ausgefallenen Zwickauer Spiels gegen Suhl protestierten die Auer noch mal. Die Suhler hatten wegen beruflicher Verpflichtungen nicht anreisen können. „Ein Wiederholungsspiel wäre zeitlich möglich gewesen, wurde aber nie ernsthaft erwogen”, so Aue-Geschäftsführer Schmiedel. Auch das Video vom Zwickau-Spiel, viereinhalb Minuten lang, war vom Gericht nicht akzeptiert worden. Nach dem Drei-Stunden-Verhandlungsmarathon verkündete der Vorsitzende Manfred Scheler: „Die Berufung Aues wird abgewiesen. Das Urteil des Sportgerichtes vom 24. Mai gilt. Wismut trägt die Kosten des Verfahrens.” Erleichtert und kommentarlos nahm die FSV-Delegation den Richterspruch auf. Tiefe Enttäuschung aber bei den Wismut-Abgesandten. Trainer Klaus Toppmöller verließ grußlos den Saal.
Text: Burg
Newsfoto: Zweikampf zwischen Aues Volker Schmidt und Torsten Viertel vom FSV im Spiel am 22. Mai 1991. Foto: Frank Kruczynski
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