Damals vor 60 Jahren: Wismut verliert Wiederholungsspiel gegen Rapid Wien und scheidet aus dem Europacup der Landesmeister aus
An der eigenen Schußschwäche gescheitert
Gutes Feldspiel der Wismut-Elf blieb ohne Krönung / Erschreckend schwache Schußleistung aller Stürmer / Überraschungstor Flögls ließ Rapid ins Viertelfinale des Europapokal-Wettbewerbes einziehen / Sympathien galten Wismut
Die große Chance ist dahin! Die Fahrkarten für das Viertelfinalspiel gegen den IFK Malmö gingen nach Wien. Rapid tritt die große Reise an. Überglücklich, denn keiner der Hanappi-Elf hatte noch damit gerechnet. Unser Vorjahresmeister Wismut aber hat das Nachsehen. Die Schuld liegt jedoch einzig und allein bei den Wismut-Spielern selbst. Nicht, daß sie etwa ihre Sache zu leicht genommen hätten. Ihr Einsatz, ihr Kampfgeist waren nicht weniger gut und vorbildlich als beim 2:0 in Aue. Selbst die spielerische Leistung hielt, wenigstens die ersten 60 Minuten, einem Vergleich durchaus stand. Aber Fußballspiele werden durch Tore entschieden. Und hier lag beim SC Wismut am 21. Dezember der Hase im Pfeffer.
Der Kumpel-Elf sagten bislang selbst Fachleute nach, daß sie unsere einzige Mannschaft sei, die aus zwei Chancen gewissermaßen drei Tore zu erzielen verstehe. Gewiß ist das übertrieben, aber tatsächlich verfügt Wismut, wie kaum eine andere Mannschaft bei uns, über die notwendige Erfahrung, Abgeklärtheit. In zahlreichen internationalen Spielen bewies die Mannschaft dies. Am vergangenen Mittwoch in Basel jedoch blieb sie es uns schuldig. Mehr noch, sie offenbarte im gegnerischen Strafraum in bestimmt mehr als einem Dutzend Fällen solche Schwächen, wie man sie an sich nicht für möglich gehalten hätte. Sieht man von den Anfangsminuten mit dem überraschenden Treffer durch Flögl ab, bestimmte Wismut die gesamte erste Spielhälfte und weite Strecken der zweiten eindeutig das Geschehen. Wunderschön, zeitweise den prasselnden Beifall der begeisterten Basler Zuschauer geradezu herausfordernd, lief der Ball durch die Reihen der DDR-Elf. Einmal mehr zeigten sich dabei die blendenden Läufer S. Wolf und E. Kaiser als die großen Initiatoren des Spielflusses.
In einem für den glitschignassen, schweren Boden verblüffenden Tempo forcierten sie das Angriffsspiel, schleppten oder paßten sie die Bälle nach vorn. Sich fest auf die stabile engere Abwehr, in der „Binges“ Müller wie in seinen besten Tagen stand, verlassend, rückten nicht selten beide mit weit über die Mittellinie, fingen dort die oft in höchster Bedrängnis abgefeuerten Befreiungsschläge der Wiener ab. Aber nur eine knappe halbe Stunde erhielten sie durch Dieter Erler wertvolle Hilfe, dann lebte der Spielaufbau einzig und allein von ihnen. Und das konnte auf Dauer natürlich nicht gutgehen.
Die Wiener spürten sehr bald, woher der Wind wehte, erkannten diese Schwäche. Mit dem beruhigenden 1:0-Vorsprung ließen sie Wismut kommen. Milanovic, als dritter Läufer fungierend, sorgte zusammen mit dem ausgefuchsten Hanappi nur hin und wieder für weite, steile Pässe auf Bertalan, Dienst und Flögl. Diese nicht ungefährlichen Entlastungsangriffe brachten jeweils die notwendige Zeit, in der Glechner seine Abwehr wieder formieren konnte. Klug praktizierten die Wiener nach diesem Rezept. Daß es letztlich aufging, ist jedoch weniger ihr Verdienst. Obwohl im Wismut-Angriff erschreckend vieles danebenging, obwohl vor allem zu sehr in die Breite, weniger zielbewußt, auf Raumgewinn, gespielt wurde, boten sich den Wismut-Stürmern dennoch Chancen in einer ungewöhnlichen Hülle und Fülle. Es begann mit Erlers gefährlichem Durchbruch (12.), den er mit einem Außenristschuß neben den Pfosten abschloß. Es setzte sich fort mit einer verpatzten Rakete Trögers aus 16 Metern (Zink hatte ihn freigespielt – 18.). Nur drei Minuten später hatte Wachtel eine große Chance. Den Flankenball Zinks donnerte er jedoch direkt über die Querlatte (21.). Chancen über Chancen boten sich in diesen Minuten, Chancen über Chancen hatte man auch später. Doch nicht eine wurde entscheidend genutzt. Ja, eigentlich hatte Hujer nur ganze drei Mal ernsthaft Proben zu bestehen. Bei Wagners prächtigem 18-m-Scharfschuß (ein Freistoß) allerdings war nichts zu halten. Flach knallte der Ball gegen den Innenpfosten. Doch Hujer hatte Glück. Das Leder sprang zurück ins Feld. Schade, bitterschade, denn dieser Ausgleich hätte sicher noch einmal die letzten Kräfte der Wismut-Spieler mobilisiert.
Das Handicap, mehr und mehr im Rennen gegen die Uhr, den 0:1-Rückstand aufholen zu müssen, tat eine übrige Wirkung auf die Nerven der Spieler. Bamberger, der schon von Anfang an seine Nervosität nicht bannen konnte, deshalb kaum wirkungsvoll in Erscheinung trat, blieb nicht das einzige Opfer. Zink, in der ersten Hälfte durch seine Schnelligkeit eminent gefährlich, verlor die Übersicht, fand keine Bindung mehr. Und schließlich gingen auch bei Siegfried Wachtel die Nerven durch. Anders ist es einfach nicht zu erklären, daß der wuchtige Linksaußen solche Großchancen, wie sie sich ihm boten, nicht zu nutzen verstand. Von Erler freigespielt, hatte er sich in der 56. Minute resolut gegen Glechner durchgesetzt. Etwa 7, 8 m vor dem Gehäuse schoß er glashart ab (anstatt zu schieben) und verzog das Leder. Nicht anders erging es ihm vier Minuten später. Mit einem sauberen Trick hatte er sich an Höltl vorbeigespielt, war in den Strafraum eingedrungen. Und wieder donnerte er rechts daneben.
Es war, als lähmten diese Fehlschüsse die Kräfte der Mannschaft. Ein inneres Resignieren zeigte sich. Ab der 70. Minute war Wismut mehr mit seiner moralischen als mit der physischen Kraft am Ende. Wohl hielt man auch bis zum Schlußpfiff noch wacker mit, aber selbst die unermüdlich anfeuernden 10 000 auf den Rängen hatten jetzt das Gefühl, es könne nichts mehr passieren. So drohte denn nur noch Gefahr, wenn einer der Abwehrspieler mit nach vorn stieß.
„Am liebsten wäre ich in den Angriff gewechselt“, sagte nach dem Abpfiff Siegfried Wolf. Ja, ein Mann mit seinen Qualitäten, ein erfahrener Spieler, der Ruhe, System auch in das Spiel innerhalb des gegnerischen Strafraumes gebracht hätte, fehlte im Angriffsquintett. Dieter Erler war es nicht. Zu sehr litt der Dieter unter körperlichen Beschwerden, die sich offenbar als Folge der klimatischen Umstellung einstellen. Erler erbrach sich in der Halbzeit, tauchte in der weiteren Hälfte völlig unter. Auch Willi Tröger konnte diese Aufgabe nicht lösen. Ihm war sie zugedacht. Er rackerte wohl auch unermüdlich, aber für eine solche kräfteverzehrende Aufgabe reichten seine Kräfte nicht mehr. Bei mehreren Schüssen, die weit über oder neben das Gehäuse gingen, zeigte sich das. So hatte denn Wismut gar Mühe, nicht noch ein zweites Tor zu kassieren.
Es blieb beim 0:1, einem Ergebnis, das dem Spielverlauf wohl nicht entspricht, aber dennoch verdient ist, denn Wismut scheiterte weniger an der Spielstärke der Rapid-Elf als an der eigenen Schußschwäche. Sachlich und treffend erklärte Trainer Fuchs nach dem Abpfiff: „Wer aus derartig vielen Chancen keine Tore zu erzielen versteht, kann die Ursachen für eine solche Niederlage nur bei sich suchen.“
Foto: Rückspiel in Aue
SC Wismut (blau): Neupert; A. Müller, B. Müller, Wagner; S. Wolf, Kaiser; Zink, Erler, Tröger, Bamberger, Wachtel
Trainer: Fuchs
Rapid (weiß): Hujer; Halla, Glechner; Höltl, Hanappi, Gießer; Milanovic, Kozich, Dienst, Flögl, Bertalan
Trainer: Körner
Schiedsrichter: Dienst (Schweiz)
Zuschauer: 10 000 (St.-Jacob-Stadion, Basel)
Torschütze: 0:1 Flögl (4.)