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Dieter 'Ede' Schüßler „Die heute über Aue schimpfen sollen das erst mal besser machen”

Anders als im modernen Profifußball war es zu DDR-Zeiten normal, dass Spieler ihrem Klub über viele Jahre die Treue halten. So auch im Falle von Dieter Schüßler, der – abgesehen von der Episode bei der ASG Vorwärts Leipzig während der Armeezeit – nur die Trikots seines Heimatvereins in Limbach-Oberfrohna und der BSG Wismut Aue trug. Für die Veilchen erzielte der meist als offensiver Mittelfeldmann agierende Rand-Chemnitzer in 301 Oberliga- und Pokalspielen 31 Tore. Sowohl dem FSV Limbach als auch dem FC Erzgebirge bleibt der 74-Jährige heute noch verbunden, so oft wie möglich besucht er die Heimspiele seiner beiden Herzensvereine.

„Mein Vater war begeisterter Anhänger der BSG Fortschritt Limbach, Vorgänger des heutigen FSV. Folglich war der Schüßler, Johannes stolz wie Oskar, als ich mit zehn, elf Jahren dort zu trainieren anfing.” Dass es nur Limbach sein durfte, wo Dieter am 7. November 1946 geboren wurde, stand felsenfest, „denn die Rivalität zum Nachbarklub in Oberfrohna war unglaublich groß”, erinnert er sich. Auf dem Sportplatz fühlte er sich da aber längst heimisch, schließlich lag der „Acker” zwischen Schule und elterlicher Wohnung. „Sofort nach dem letzten Klingeln rannten wir hin, schmissen die Ranzen ins Gras und schlugen viele, viele Bälle, ehe es dann irgendwann doch mal an die Hausaufgaben ging.”

Dieter, der in einem örtlichen Textilmaschinenbetrieb Dreher lernte, fiel als Fußballer beizeiten auf, durfte meist eine Altersklasse höher spielen – mit 17 Jahren bereits in der Männermannschaft. Die kämpfte in der Bezirksliga, damals die dritthöchste Klasse in der Republik. Zusammen mit Talenten wie Jürgen Croy, Manfred Lienemann und anderen stand Schüßler in der Karl-Marx-Städter Bezirksauswahl, als ihn Wismut-Aue-Trainer Gerhard Hofmann ansprach. Für den jungen Mann sollte ein Traum wahr werden: „Klar wollte ich ins Lößnitztal, hatten wir Kinder doch die legendären Europa-Cup-Spiele gierig verfolgt.” im Herbst 1965 debütierte der 18-Jährige im Bezirksderby der Auer gegen den SC Karl-Marx-Stadt.

Alles in allem 23 Treffer erzielte „Ede” Schüßler bei seinen 277 Oberligaeinsätzen bis Oktober 1980, als er gegen den HFC Chemie zum letzten Mal für die Lila-Weißen auflief. Den Spitznamen freilich bekam er gleich zu Beginn seiner Auer Zeit: „Es gab damals den berühmt-berüchtigten DDR Fernsehkommentator Karl-Eduard (Ede) von Schnitzler. ,Du hast ’ne Brille wie der’”, rief mein Mannschaftskollege Peter Schaarschmidt in der Kabine. Alles wieherte und ich bin bis heute der Ede.” Die Wismut-Spieler wohnten damals alle in Aue und Umgebung, zum Training und zu den Spielen holte sie ein B-1000-Bus der BSG ab. Anfang 1966 erlebte die Mannschaft ein unvergessliches Abenteuer. Direkt vom Wintertrainingslager im eiskalten Schönheide ging es ins heiße Westafrika. in Guinea, Senegal und Mali bestritten die Erzgebirger Freundschaftsspiele, unter anderem gegen die dortigen Nationalmannschaften. Zurück aus den Tropen in der Auer Kälte zeigte Wismut keine Schwäche, gewann das erste Punktspiel am 12. Februar zu Hause gegen den 1. FC Magdeburg mit 1:0. Dieter Schüßler hieß der Schütze des goldenen Tores.

Viele Fußballbegegnungen der folgenden Jahre sind im Kopf geblieben. Allen voran das Halbfinalrückspiel im FDGB-Pokal vom 22. März 1975. Die Veilchen hatten die erste Partie mit 0:1 in Zwickau verloren und auch in Aue führte Sachsenring dank eines Handelfmeters schon mit 1:0. Er habe den Ball an den Oberarm bekommen, sagt „Ede”, doch Schiedsrichter Rudi Glöckner entschied auf Strafstoß. Umso erleichterter war Schüßler, als er selber kurz nach der Pause zum 1:1 ausglich. Danach spielte nur noch Wismut und gewann am Ende 2:1, doch wegen der Auswärtstorregel kam Zwickau ins Finale. Auch, weil der Mann in Schwarz zwei Treffer von Alfons Babik und Dietmar Pohl nicht anerkannte und ein Handspiel von Heinz Dietzsch im Zwickauer Strafraum übersah. 1974/75 bestritten die Erzgebirger sieben Pokalspiele, Schüßler stand bei allen auf dem Platz.

Dieter war ein stets torgefährlicher Mittelfeldspieler. Oder, wie „Binges” Müller sagte, hängender Mittelstürmer. Seine Trainer hießen Bringfried Müller, dann Gerhard Hofmann und schließlich Manfred Fuchs. Wie Konrad Schaller, Jürgen Escher und Holger Erler war er einer der Regisseure der Mannschaft, nach dem Laufbahnende von Dietmar Pohl auch zwei Jahre lang Kapitän. (Bis 1976, als Schüßler längere Zeit verletzt war. Gegen Ende jener Saison lief es nicht mehr rund, aber immerhin, wieder gelang der Klassenerhalt.) Unter seinen Erfolgen sind auch zwei DDR-Meistertitel, erkämpft mit einer Studentenauswahl 1972 und 1975, als Dieter parallel zum Oberligafußball ein Ökonomiestudium absolvierte. Besonders stolz ist er heute noch auf die Goldene Ehrennadel, die ihm die BSG Wismut Mitte der Siebzigerjahre verlieh. „Was am stärksten im Bewusstsein von uns Spielern bleibt, ist der unglaubliche Zusammenhalt. Wir stammten ja fast alle von hier. Doch auch, wer wie der Magdeburger ,Uli’ Ebert, von weiter her kam, fühlte sich sofort zu Hause. Nicht selten trafen wir uns zusammen mit unseren Familien. im Winter gab es die Trainingslager in Oberwiesenthal, im Sommer den Urlaub in Zinnowitz an der Ostsee. Und immer waren unsere Familien quasi Teil des Teams”, schwärmt Schüßler und findet dieses Feuer heute noch, wenn er sich mit Mannschaftskollegen von einst im Erzgebirgsstadion trifft. Kumpel wie Lothar Spitzner, Klaus Zink, Jürgen Escher, Holger Erler, Bernd Bartsch, Günter Seinig, Karl Groß oder Dietmar Pohl sehe ich regelmäßig zu den Zweitligaspielen und einmal im Jahr kommen wir bei unserer Weihnachtsfeier zusammen.” Dabei wird auch manche Episode ans Licht geholt, zum Beispiel die mit dem bunten Rad von Wolfgang Fischer, den Armin Günther später zu Chemie Böhlen holte, als er dort Trainer wurde. „Wir Spieler fuhren öfters nach Sosa in den ,Stern’. Albrecht Gläser, der Wirt, war großer Aue-Fan und tischte uns sensationelle Rouladen mit Klößen auf. Der Fischer, Wolfgang fuhr immer mit seinem betagten Fahrrad hin. Einmal brachten wir Farben mit und pinselten seinen alten Drahtesel frisch an. Als ,Wolle’ heim radeln wollte, traf es ihn: Felgen quietschgelb, Speichen tschitscheringrün, Rahmen puterrot... Jedenfalls war das ganze Ding knallbunt.”

Nach der Saison 1980/81 endete „Edes” Karriere in Aue. Während der aktiven Zeit hatte er sich zum ingenieurökonom qualifiziert und arbeitete nun als Energetiker im Forschungszentrum des Kombinats Trikotagen, später beim DTSB und hatte dann für Kultur und Sport im VEB Feinwäsche „Bruno Freitag”, einem Großbetrieb in Limbach-Oberfrohna, den Hut auf. Nach der Wende arbeitete Dieter Schüßler im Marketing und Verkauf, baute Wochenzeitungen im Chemnitzer Land maßgeblich mit auf. Bereits ab Ende 1980 war Schüßler Spielertrainer bei seinem Heimatverein, dem jetzigen FSV Limbach-Oberfrohna, wo er erst 2016 als Co-Trainer die Töppen endgültig an den Nagel hing.

Genug zu tun bleibt für den 74-jährigen Rentner trotzdem. Da ist das Haus mit großem Garten im Chemnitzer Stadtteil Röhrsdorf, direkt an der Grenze zu Limbach. „Meine Söhne Kai und Nils waren ganz ordentliche Kicker, Enkel Vincent spielte beim FSV Limbach-Oberfrohna aktiv, Enkelin Helen spielte etliche Jahre Fußball beim CFC”, berichtet der Opa sichtlich zufrieden und hofft, dass auch Enkel Sten und Urenkelin Maira seine Sportlergene erben. ihn selber halten zwei Hunde und drei Katzen auf Trab und natürlich der Zweitligaspielplan: „Ich fahre immer wieder gern in dieses fantastische Stadion nach Aue. Die Atmosphäre gefällt mir und ich ziehe den Hut vor allen, die den FC Erzgebirge zu dem gemacht haben, was er heute ist. ich finde sehr beachtlich, was dieser Verein für die ganze Region leistet.” Natürlich werde immer auch gemeckert, „aber die Lautsprecher sollen das erst mal besser machen. Überall in Deutschland bekommt Aue Anerkennung und Sympathien, ähnlich wie Wismut damals in der DDR. Es ist gut, dass diese Tradition weiterlebt.” Olaf Seifert

Fotos: Frank Kruczynski. Foto-Atelier Lorenz

Text ist aus dem Jahr 2019.