Gerd Schädlich: „Hoffentlich vergisst Aue nie, was die 2. Liga für eine Riesensache ist”
Auf zwölf Trainerstationen kommt Gerd Schädlich, geboren 1952 in Rodewisch, zwischen 1978 und 2013. Die Zeit beim FC Erzgebirge, den er 2003 erstmals in die 2. Bundesliga führte, war dabei mit achteinhalb Jahren die längste – und nie vorher oder danach trainierte ein Fußballlehrer eine Auer Mannschaft am Stück länger als der gebürtige Vogtländer. Am 30. Dezember ’17 feierte er 65. Geburtstag. Veilchenecho- Redakteur Olaf Seifert traf sich danach mit ihm daheim in Chemnitz auf einen guten Kaffee.
Du hast mit Aue, Chemnitz und Zwickau bei allen drei südwestsächsischen Rivalen erfolgreich gearbeitet. Welche Station ist im Rückblick die wichtigste, die schönste gewesen?
Jede von ihnen war es. Wie überhaupt, wenn ich auf meine Karriere als Spieler und Trainer schaue, überwiegen die positiven Momente. Es hat mich seinerzeit sogar zusätzlich motiviert, denn als Ex- Zwickauer musste ich mich in Aue erst mal durchsetzen und später in Chemnitz war es genauso. Diese Herausforderung reizte mich. Alles in allem waren es zusammengerechnet zwanzig gute Jahre. Und weil ich bodenständisch bin, brauchte ich nicht durch die Welt zu reisen.
Wann warst Du zum ersten Mal in Aue im Gespräch?
(Lacht) Gegen Ende meiner Schulzeit. Mein Onkel war Bauingenieur und so wollte ich einen Bauberuf mit Abitur lernen, das wäre in Aue gewesen. Aber es kam anders, denn mit knapp 16 wurde ich von meinem Jugendverein TSG Rodewisch, wo ich als Neunjähriger mit dem Fußballsport begonnen hatte, zum FC Karl-Marx-Stadt delegiert, wie das damals hieß. Ich war in der Bezirksauswahl aufgefallen.
Das geschafft zu haben machte stolz?
Zunächst hieß es arbeiten, im Nachwuchs, dann in der zweiten Mannschaft in der DDR-Liga. Allzu viele Einsätze hatte ich dann in der Ersten nicht, es waren genau 25. Doch denke ich gern an jene Zeit zurück. Zum Beispiel, wie mich Trainer Gerhard Hofmann – bekanntlich auch mal bei Wismut Aue tätig – erstmals gegen den großen BFC Dynamo einwechselte. Oder an meinen einzigen Oberligatreffer: 1973 beim 3:0 gegen Rot-Weiß Erfurt. 1976 erlitt ich eine schwere Knieverletzung, es folgten drei Operationen und zwei Jahre später musste ich die Töppen darum für immer an den Nagel hängen.
Und wolltest Trainer werden?
Ganz und gar nicht, der Appetit an diesem Beruf wuchs mit den Aufgaben. Ich hatte während meiner Zeit als Oberligaspieler an der DHfK-Außenstelle in Karl-Marx-Stadt das Sportlehrerdiplom erworben und arbeitete zunächst sechs Jahre an der Kommunalen Berufsschule in der Bezirksstadt. Zusätzlich trainierte ich Mannschaften wie Motor Scharfenstein oder Aufbau Krumhermersdorf. Mit letzterer gelang überraschend die Qualifikation für die DDR-Liga, die zweithöchste Spielklasse. Ich musste mich entscheiden und wurde Trainer. Zwar ging Krumhermersdorf nach einem Jahr wieder runter und ich betreute die Zweite des FCK, dann Aktivist Schwarze Pumpe, doch als die Erzgebirger wieder Richtung DDR-Liga angriffen, kehrte ich ohne Zögern zurück. Prompt gelang der Aufstieg. Nebenbei, damals lernte ich Wismuts Mannschaftsleiter Bernd Zimmermann kennen, er vermittelte so manchen Spieler nach Krumhermersdorf, der es im Lößnitztal nicht schaffte, uns aber gute Dienste leistete. „Zimbo” wurde später in Aue einer meiner besten Kumpel.
Warum bist Du 1991 nach Zwickau gegangen?
Das Angebot vom FSV reizte mich. Ähnlich wie die Auer wollten die Westsachsen in die 2. Bundesliga. 1994 haben wir das dann auch geschafft. Vor allem in der Saison 1995/96 sorgte Zwickau als Tabellenfünfter für Aufsehen. Entsprechend ärgerlich empfand ich den Rauswurf zur Winterpause des folgenden Spieljahrs. Wir waren zu dem Zeitpunkt Dreizehnter. Entlassen zu werden war neu für mich und ich brauchte eine Weile, die Enttäuschung zu verdauen.
Du bist danach stets aus eigenem Entschluss gegangen, wie 2007 in Aue oder 2013 beim CFC?
1999, bei Sachsen Leipzig, wurde ich auch mal entlassen, weil ich eine andere Aufstellung als ein Hauptsponsor wollte. Roman Müller, den ich später übrigens nach Aue holte, war wenige Tage zuvor verpflichtet worden und sollte partout spielen. So was geht nicht. Das war es dann für mich in Leutzsch. Ansonsten habe ich bestimmt, wann ich gehe. Aus Sicht von heute hätte höchstens der Zeitpunkt der Abschiede hin und wieder ein besserer sein können.
Wann sollte ein Trainer gehen?
Wenn er Erfolg hat. Funktioniert in der Praxis aber kaum, weil Fußballverrückte wie ich emotional entscheiden statt mit kühlem Kopf. Für Zwickau, Chemnitz oder Aue ist es schon gut, in der 3. Liga ordentlich mitzuspielen, und in der 2. Bundesliga zu sein ist für diese Vereine sensationell. Entsprechend fällt einem Trainer überdurchschnittlicher Erfolg auf die Füße. Die Erwartungshaltungen wachsen mit den Erfolgen. Ich wünsche den Auern, dass sie nie vergessen, was es für den Verein heißt, am Ende jeder Saison die 2. Liga zu behaupten.
Wer brachte Dich beim FC Erzgebirge ins Gespräch? Es heißt, der damalige Fanaktivist Andreas Zeise habe eine Aktie dran?
Weiß ich nicht, das muss man die damals im Verein Verantwortlichen fragen. Ich weiß nur, dass mich Andreas nach einem Sachsenpokalspiel der Veilchen in Hoyerswerda – ich war damals dort Trainer und wir hatten gerade 0:4 verloren – um einen Fanschal der Lausitzer bat. Wir haben uns dann eine Weile rund um den Fußball unterhalten.
Fakt ist, dass man 1999 in Aue einen Trainer suchte und ich schnell sicher war, dass es miteinander passen könnte. Obwohl nicht jeder im Umfeld Hurra ruft, wenn ein „alter Zwickauer kommt” und der Saisonauftakt 1999 holprig war, spürte ich immer die volle Rückendeckung von den Entscheidern, namentlich Bertram Höfer, Uwe Leonhardt und Lutz Lindemann. Ich weiß noch, wie der Lutz nach einer Niederlage gegen den Dresdner SC die Fans beruhigte. Geduld und Zusammenhalt zahlten sich aus, am Ende der ersten Saison qualifizierte sich Aue für die neue Regionalliga. Es folgten drei Sachsenpokale und der Zweitligaaufstieg 2003.
Dieser Aufstieg war geplant?
Nein, auch wenn der Verein und ich selber das Ziel teilten. Wir hatten uns in der Regionalliga etabliert, eine solide Hinrunde gespielt, waren nach der Winterpause aber eher schlecht gestartet. Dann gelang jedoch eine Serie, wir gewannen elf von zwölf Spielen in Folge. Es wurde ein Selbstläufer und in dieser Situation wollte dann natürlich jeder hoch.
An welche Aue-Spiele erinnerst Du Dich besonders?
An mein erstes für die Lila-Weißen zum Beispiel. In der Auftaktpartie der Saison 1999/2000 lagen wir beim VfL Halle 96 mit 0:1 zurück, am Schluss hieß es 3:1 für Aue. Oder an den ersten Sieg in Liga zwei, das war nach zwei Niederlagen 2003 das 2:1 zu Hause gegen Union Berlin. Es folgte eine sehr kurze Nacht, denn kaum lag ich im Bett, warf ein Bauer draußen auf dem Feld in Berbisdorf seinen Trecker an. Ich raus an den Zaun und... Na ja, hab’ mich dann am nächsten Tag beim Bauern entschuldigt.
Weitere Höhepunkte waren das DFB-Pokalspiel im Oktober 2005 gegen Bayern München, wo Michael Ballack erst in der 80. Minute das Siegtor gelang, und jedes Mal wieder die Sachsenderbys gegen Dynamo Dresden. Erst recht, wenn mein alter Freund Christoph Franke drüben auf der Trainerbank saß. Unvergessen bleibt ebenso der 1:0-Sieg zu Anfang der Rückrunde 2004 gegen den VfL Osnabrück, „Nik” Noveski traf kurz vor Schluss. Ein Schlüsselspiel, denn es lief schlecht, in Aue brannte die Luft. Danach fanden wir in die Spur und schafften in unserer ersten Zweitligasaison den Klassenerhalt.
Sicher auch dank des mitten in der Saison gekommenen Andrzej Juskowiak.
Stimmt, das war ein ganz wichtiger Transfer, den mancher im Umfeld zunächst skeptisch sah: Würde der zuvor in der Bundesliga und international erfogreiche „Star” für Aue alles geben? „Jusko” erwies sich als Glücksgriff, der schon durch seine Persönlichkeit im Team gewirkt hat. Ein stiller, bescheidener Könner. Verbal, emotional waren andere präsenter, etwa Jörg Emmerich, Marco Kurth oder Matthias Heidrich. Ich kann nicht jeden nennen, der zu meiner Zeit Auer Fußball-Geschichte(n) mitgeschrieben hat. Bloß Tomasz Kos vielleicht noch, der Mann ist Leidenschaft und Ehrgeiz pur. Und Holger Erler, ein absoluter Praktiker, der all die Jahre mein stets loyaler, verlässlicher Co-Trainer war. Gern denke ich an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der FCE-Geschäftsstelle, für ihre Unterstützung bin ich auch nach so vielen Jahren dankbar.
Du bist im Dezember 2007 zurückgetreten. Anlass war die 0:5-Niederlage bei 1860 München?
Gewiss, sie war deprimierend und die jahrelange Anspannung auf der Trainerbank hatte mich gesundheitlich gefordert. Doch ich fand, ein neuer Trainer sollte die Möglichkeit bekommen, frische Impulse zu setzen. Ich sah die Gefahr, dass wir sonst absteigen könnten. Das war entscheidend. Nach dem 0:5 sprach ich erst mit meiner Frau und fuhr montags früh zu Bertram Höfer, um die Konsequenz zu ziehen.
Damals vermuteten manche, es habe Differenzen mit dem Chef gegeben.
Definitiv nein, das kam in der Öffentlich komplett falsch rüber. Präsident Uwe Leonhardt hat meine Entscheidung verstanden und akzeptiert. Wir arbeiteten immer gut zusammen, in meine Arbeit redete er mir nie rein. Bis heute haben wir einen guten Draht.
Wie gefällt Dir das neue Erzgebirgsstadion?
Beeindruckend, es ist rundum wirklich gelungen. Vor allem die Funktionsräume stechen heraus, wenn man als Trainer die bescheidenen Bedingungen kennt. Bertram Höfer und Michael Voigt hatten mir Ende 2017 alles gezeigt und jetzt freue ich mich, Aue dort siegen zu sehen. Gegen Kaiserslautern will ich mal hinfahren.
Wie siehst Du Deine beiden letzten Stationen, die Arbeit als Trainer beim CFC und als Scout beim Halleschen FC?
Es hat in Chemnitz, ähnlich wie in Zwickau und Aue, wieder drei Jahre gedauert bis zum Aufstieg, in dem Fall in die 3. Liga. Ich bekam also auch hier Vertrauen und die nötige Zeit. Als wir 2013 um vordere Plätze mitspielen wollten, aber weiter nur Mittelmaß boten, trat ich konsequenterweise auch bei den Himmelblauen zurück. Dann für den HFC Spieler und Spiele zu beobachten, war noch mal eine spannende Sache. Als Trainer hatte ich das zuvor ja oft mitmachen müssen, jedoch quasi nebenbei.
Letztes Jahr warst Du lange krank, wie geht es Dir? Würdest Du es noch mal im Fußball wissen wollen?
Ich bin zufrieden, mir geht es wieder recht gut. Gesundheit schätzt man erst, wenn man krank war, umso mehr genieße ich die Zeit jetzt mit meiner Frau Iris. Meine Familie hatte mich über all die Jahre in einem sehr aufreibenden Beruf immer unterstützt, dafür bin ich dankbar. Und auch wenn man nie nie sagen soll, ich werde mich sicher nicht mehr für den Job bewerben. Ich bin jetzt offiziell Rentner. Das Interesse am Fußball bleibt freilich wach.
Was sagst Du zur momentanen Situation in Zwickau, Chemnitz und Aue?
Der FSV entwickelt sich positiv, hat mit seinen Möglichkeiten im zweiten Jahr der 3. Liga vieles richtig gemacht und besitzt gute Chancen, die Klasse zu halten. Das zu schaffen wird für die Himmelblauen freilich äußerst schwer. Schade, dass es sich beim CFC trotz des schönen Stadions so entwickelt hat. Für Aue hoffe ich, dass man ein fester Bestandteil der 2. Bundesliga bleibt. Die Mannschaft hat nach meinem Eindruck das Zeug, das anspruchsvolle Ziel in dieser Saison wieder zu schaffen. Die Verbindung von Fußball und Region ist im Erzgebirge ganz besonders stark, ich hoffe nur, man vergisst nie, was die 2. Liga hier für eine Riesensache ist.
Text: Olaf Seifert
Fotos: Burg, Frank Kruczynski, Olaf Seifert