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Historisch | Vor 32 Jahren: Februar 1988 – Rückrundenauftakt im Schnee

Wer nach Aue reist, muss mit Schnee rechnen. So auch in diesem frühlingshaften Winter 1987/88. Da hielt er sich mit Schnee und Kälte in seinen angestammten Monaten fern, um dann mit elementarer Gewalt die meisten Stadien zuzuschneien. Im Vorjahr, im Februar 1987, war zum Rückrundenauftakt nur ein Spielausfall (Wismut Aue gegen Stahl Brandenburg) zu beklagen, diesmal gleich drei – in Erfurt, Jena und Magdeburg. Pünktlich zum Rückrundenstart gegen den Tabellenzweiten 1. FC Lokomotive Leipzig rieselte die weiße Pracht Ende Februar 1988 ins Lößnitztal und verwandelte das Erzgebirge in ein Ski- und Rodelmekka. Voraussetzung also für jene Legende, nach der die Wismut-Männer auf Schnee schier unbezwingbar wären. Davon hielten die Auer jedoch selbst so viel nicht, aber sie wollten nach der langen 76-tägigen Winterpause unbedingt spielen. Verständlich, denn die Abstiegsgefahr machte sich breit bei den Veilchen. Das Wasser stand ihnen nach Ende der ersten Halbserie bis zur Halskrause. Punktgleich rangierte man mit Hansa Rostock und Union Berlin – alle drei hatten je 8:18 Punkte – auf dem drittletzten Tabellenplatz.

Aues Harald Mothes springt bei diesem Kopfball höher als Ronald Kreer, im Vordergrund Matthias Lindner


Im Lößnitztal wurde in den zurückliegenden Monaten der Gürtel enger geschnallt. Nach dem Höhenflug des Vorjahrs (4. Rang) folgte der jähe Absturz in die Abstiegszone (12.), der Kräftesammeln, Selbstbesinnung sowie gründliches Analysieren erforderte. Dabei machte sich beim Oberliga-Oldtimer (seit 1951/52 dabei), der als einzige Mannschaft noch nie abgestiegen war, keineswegs Panik breit. „Wir packen es. Jetzt wird mit hochgekrempelten Ärmeln gekämpft”, sagte Routinier Harald Mothes, der wie Hans Speth an bewährte Wismut-Tugenden wie Moral, Kameradschaft, Hingabe und Heimstärke glaubte. Für den Trainer war ja die Situation nicht neu. Als er im Januar 1986 das Amt übernahm, waren die Köpfe der Veilchen sogar noch tiefer (13. Platz) gebeugt. Er versuchte, in der Vorbereitung das Nervenkostüm seiner Mannen aufzupolieren. „In den elf Testpartien lag uns besonders die Verbesserung unserer Torgefährlichkeit am Herzen, und zwar aus allen Reihen heraus”, verriet Assistent Jürgen Escher. Allein sechs Punktspielpartien gingen mit einem Tor Unterschied in die Binsen. Dabei überboten sich die Bittner, Balck, Jacob und Co. nur so im Verschludern von Chancen. Die Quittung waren magere elf Treffer aus 13 Spielen.
Im Mittelpunkt der Vorbereitung auf die zweite Halbserie stand ein Abstecher nach Ungarn. Dort gab es neben zwei Siegen gegen Ligavertreter ein beachtliches 1:1 gegen Raba ETO Györ. „In diesem Spiel bot die Mannschaft ihre stärkste Leistung, spielte dynamisch, entschlossen und bissig nach vorn”, urteilte Hans Speth, der sich auch über den Abschlusstest nicht unzufrieden zeigte. Er wurde mit einem klaren 3:0-Erfolg gegen den polnischen Gast aus Walbrzych gewonnen.

Begrüßung vor dem Spiel zwischen den Kapitänen Jörg Weißflog (Aue, links) und René Müller; rechts Schiedsrichter Klaus Peschel, dahinter der Lugauer Sportfotograf Bernd Franke.


Siege waren also gefragt, möglichst bald und möglichst viele. Wismut hatte bis dahin nur derer zwei erzielt, jeweils 1:0-Heimerfolge gegen Hansa Rostock und Stahl Brandenburg. Auswärts war es dagegen nur ein einziges Pünktchen aus sieben Spielen. Deshalb stampften am Freitag vor dem Lok-Spiel fleißige Helfer die vielleicht 30 Zentimeter hohe Schneedecke im Otto-Grotewohl-Stadion auf ein erträgliches Maß zusammen. Für ein niveauvolles Spiel erwies sich aber diese Decke noch immer als viel zu hoch. Die spätere ausgeprägte „Kraterlandschaft” trieb mit Ball und Spielern ungewollte Scherze. Den meisten misslangen die einfachsten Zuspiele. So mancher vermochte den temperiertesten Pass nicht zu verwerten. Selbst Freistöße mussten nicht immer zum Vorteil der ausführenden Mannschaft sein, zumal kaum einer mit dem Standbein richtig zum Ball kam. Das Duell, das unter normalen Umständen äußerst interessant geworden wäre, blieb im Schnee stecken. Das Spiel litt sehr unter den widrigen Bodenverhältnissen. Solange die Schneedecke einigermaßen glatt war, ging es noch. Später aber fanden nicht mal die leichtesten Zuspiele den Nebenmann. Groteske, ja lächerliche Szenen spielten sich ab. Das hatte allerdings keiner der Spieler verdient, denn alle mühten sich redlich. Aue wollte die Gelegenheit beim Schopf packen und sich mit einem Sieg gegen den Titelmitfavoriten (punktgleich mit dem Ersten BFC Dynamo) ins rechte Licht zu setzen. Letzteres gelang zwar nicht spielerisch, dafür aber kämpferisch. So sehr die Abwehr nämlich zunächst gefordert wurde und ihr streckenweise gravierende Fehler unterliefen (Heiko Münch), so sehr steigerten sich die Auer später (Volker Schmidt, Harald Mothes) enorm. Es war abzusehen, dass die Veilchen über das größere Stehvermögen verfügen würden. Ganz unrecht hatte Lok-Trainer Hans-Ulrich Thomale sicherlich nicht mit seiner Bemerkung, dass Wismut „das Quäntchen Glück, das man zum Sieg braucht”, hatte. Aues Steigerung und der nimmermüde Kampfgeist sollten jedoch keineswegs außer Acht gelassen werden. Deshalb stellte Trainer Speth das Lob für die kämpferische Komponente ganz hoch und meinte: „Wir haben alles gegeben, auch wenn dem Zufall Tür und Tor geöffnet waren.” Während sich die Messestädter im zweiten Abschnitt nicht eine Torgelegenheit erarbeiteten, hatten die Wismut-Männer schon vorm entscheidenden Treffer den Torschrei auf den Lippen. Jacob mit einem Schuss von der Strafraumgrenze und Volker Schmidt, der diesen Ball per Kopf Richtung Tor verlängerte, hießen die Akteure, doch Liebers schlug das Leder von der Linie (59.). André Köhler ließ dann in der 74. Minute nach einem Eckball von Ronald Färber durch einen schnellen Direktschuss, Nationalkeeper René Müller keine Abwehrchance.
Nach dem Schlusspfiff wurden die Wismut-Spieler ob des wichtigen Doppelpunktgewinns per Lautsprecher mit „Hoch soll’n sie leben!” verabschiedet. Dieses Hoch muss ihnen wie ein Labsal vorgekommen sein. Das lange Warten auf solch ein Erfolgserlebnis hatte an den Nerven gezehrt. Dabei wusste Coach Hans Speth von vornherein: „Wer das erste Tor schießt, gewinnt das Spiel!” (Burg)

Fotos: Frank Kruczynski