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Interview mit Cheftrainer Pavel Dotchev „STADIONBAUSTELLE IST UNSER ZUHAUSE”

VEILCHEN-AUFSTIEGSTRAINER PAVEL DOTCHEV SETZT AUF SPIELER, DIE HUNDERTPROZENTIG ZU AUE PASSEN Vor allem ein Name steht für die sportlich so erfolgreiche Aufstiegssaison der Veilchen, der von Cheftrainer Pavel Dotchev. In bloß einem Jahr führte der einstige bulgarische Nationalspieler und Bundesligaprofi den Verein in die 2. Bundesliga. Vorm ersten Heimspiel sprach Olaf Seifert mit dem Fünfzigjährigen.Über weite Strecken das Spiel dominiert und doch verloren. Wie empfinden Sie die 0:1-Niederlage am Sonntag in Heidenheim?
Riesengroß ist die Enttäuschung, weil wir es nicht geschafft haben, uns für die gute Leistung zu belohnen. Wenn der Gegner besser ist, akzeptierst du eine Niederlage leichter. Der Schwerpunkt im Training, die Kunst in dieser Woche war also, die Spieler aufzurichten, damit sie fit sind für eine top Leistung am Freitagabend. Sie kamen im Juni 2015 ins Erzgebirge, wie haben Sie das Jahr empfunden?
Gefühlt war es nur ein Monat, so schnell ist die Zeit geflogen. Kein Wunder, wenn du von null auf hundert tourst: Am Anfang hatten wir keine Mannschaft und am Ende steigst du auf, Wahnsinn! Es war nie Zeit, zurück zu blicken, jetzt erst merke ich, wie intensiv und schön alles war. Wie heißt das Erfolgsrezept?
Die Mannschaft, ihr Charakter ist der entscheidende Faktor. Mit dem Aufstieg haben die Jungs sich für ihre Arbeit belohnt und die kleine Sensation geschafft. Jeder Einzelne hat sich weiterentwickelt. Nicht nur die Jungen, sondern auch gestandene Profis wie Christian Tiffert. Man sollte meinen, der hat alles erlebt, hat fußballerisch alles drauf. Aber er ist immer stärker geworden, immer mehr in die Führungsrolle rein gewachsen. Und man sieht anhand der Tabellenkurve im Lauf der Saison sehr schön, wie die Mannschaftsleistung besser und besser geworden ist. Trainer sind bekanntlich immer kritisch, was lief noch nicht nach Wunsch?
Was soll ich denn meckern, wenn alle ans Limit gehen? Die Spieler sind abgeschossen wie ein Trabi mit 180 auf der Autobahn. Keine Kritik, einfach nur Respekt. Was mich ärgerte ist, wenn uns von außen eine zu defensive Rolle vorgehalten wurde. Ja, wir haben in der Hinrunde zwar hinten nichts zugelassen, doch noch zu wenige Tore erzielt. Aber Aue hat nicht gemauert, sondern immer auf Sieg gespielt. Du darfst einen Stürmer nie nur an Toren messen, sondern musst auch sehen, wie viel Dreckarbeit zum Beispiel ein Max Wegner jedes Mal geleistet hat. Natürlich war Pascal Köpke dann ein Glück, aber der alleine hat es in der Rückrunde nicht richten können, sondern nur das Team. Wie bewerten Sie die bisherige Saisonvorbereitung? 
Sie war diesmal besonders lang und wir haben die Jungs nicht vom ersten Tag an gepusht, sondern die Zeit so eingeteilt, dass Lust und Spaß am Fußball immer da waren. Deshalb die Pause nach der ersten Trainingswoche und zunächst Testspiele gegen sogenannte leichte Gegner. Denn Treffer und Siege schaffen Selbstbewusstsein, Erfolgserlebnisse. Ich sehe, wie Automatismen und das Zusammenspiel stetig besser werden. Wenn die Einstellung nicht stimmt, schießt man auch keine 20 Tore im Spiel. Die machst du nicht so leicht und locker. In solchen Spielen entwickelt sich viel Positives.
Die letzten Begegnungen waren „scharfe” Tests, speziell das gegen Hannover 96, wo wir Zweitligaluft geschnuppert und uns gut verkauft haben. Ich hätte gern gegen ein paar Gegner mehr von dem Kaliber gespielt. Jetzt aber freuen wir uns aufs erste Heimspiel in der neuen Liga, denn wir haben Selbstvertrauen, können mithalten und, wie in Heidenheim, sogar mal überlegen auftreten. Was war für die Wahl der Zugänge ausschlaggebend?
Einerseits den Kern der erfolgreichen Mannschaft zu erhalten und die Ordnung nicht zu zerstören. Zum anderen eine gesunde Konkurrenz schaffen und den Kader so ergänzen, dass jede Position in hoher Qualität mindestens doppelt besetzt ist. Wir haben etlichen guten Spielern abgesagt, weil sie nicht perfekt passten. Und Stars wollen wir nicht. Wir werden den Neuen Zeit lassen und haben die Trainingspläne entsprechend individuell formuliert. Die Jungs sollen ihre Denkweise der unseren anpassen und mancher muss auch bei der körperlichen Fitness aufholen. Wo liegen die Stärken der Verstärkungen? Beginnen wir mit Clemens Fandrich.
... der ja ein guter Bekannter in Aue ist, bei den Fans einen guten Stand hat. Seine Qualität hat der Mittelfeldspieler in Leipzig, Luzern und eben in Aue unter Beweis gestellt. Er identifiziert sich mit unserem Verein und kehrt nun gerne nach Hause zurück. Uns fehlte im Vorjahr der klassische Stoßstürmer, Martin Toshev ist einer. Der schießt aus jeder Lage. Stürmer Dimitrij Nazarov wurde kurzfristig verpflichtet, um Max Wegner, der wohl die ganze Hinrunde wegen einer Knieverletzung ausfällt, zu ersetzen. Ihn kenne ich noch als Schlüsselspieler in Münster. Er ist zweitligaerfahren und sportlich wie charakterlich ein Gewinn. Das klingt jetzt gewagt, aber irgendwie erinnert mich der Ex-Karlsruher an Bayerns Thomas Müller. Vom Typ her und wie er Überraschungsmomente nutzt. Fehlen Fabio Kaufmann, Fabian Kalig, Sören Bertram, Mirnes Pepic und Keeper Maik Ebersbach.
Kaufmann ist ein interessanter junger Mann. Flexibel und mit 23 schon ziemlich erfahren. In Cottbus machte er letzte Saison fast alle Spiele, muss also drei verschiedene Trainer überzeugt haben. Er besitzt Zweitligapraxis, ist dynamisch, belastbar und bei nur einsachtzig sind seine Kopfbälle nicht ohne. Fabian Kalig war Kapitän bei der Zweiten von Mainz 05, da braucht man über die Qualität nicht mehr viel sagen. Ein solider Innenverteidiger, der nie laut ist und dennoch alles für einen Führungsspieler mitbringt. Für Sören ist die erneute Verletzung bitter, aber ich vertraue auf seine Klasse. Die hat der beim HSV ausgebildete Mittelfeldmann beim FC Augsburg, in Bochum und Halle schon angedeutet. Bei uns bekommt er die Zeit und Hilfe, die er braucht. Mirnes Pepic ist ballsicher, belastbar, beweist Übersicht und ist vielseitig einsetzbar. Einer mit Zukunft. Maik Eberbach war Leistungsträger beim Viertligisten VfB Auerbach, ist verwurzelt in der Region und als Torwart voll im Saft. Ein Keeper, auf den wir jederzeit zählen können. Wie empfinden Sie die Kulisse der neuen Fantribüne im Sparkassen-Erzgebirgsstadion?
Als eine neue Welt. Natürlich zwingt die Baustelle zu Einschränkungen, die Stimmung ist nicht optimal wie in dem Hexenkessel, der demnächst hier stehen wird. Insofern müssen unsere Zuschauer jetzt doppelt so viel Power runter bringen, damit die Mannnschaft auf dem Platz alles abrufen kann. Aber die Spieler sehen es ja positiv: „Das ist unser Zuhause!” Es ist so wie beim Bau des eigenen Hauses. Heute kommen die Fenster, morgen das Dach, das Parkett... Jede Veränderung bekommen wir mit, jede motiviert uns extra. Wie hat sich Pavel Dotchev in Aue eingelebt?
Ich fühle mich wohl wie nirgends zuvor. Aue ist mein kleines St. Pauli: familiär, mit fantastischen Fans, dem wunderbaren Umfeld und diesem tollen Stadion, das jeden Tag wächst. Wo sonst steigst du ab und hast danach tausende neue Mitglieder?! Foto: Foto-Atelier LORENZ