Jürgen Escher: „Die emotionalen Höhepunkte bleiben”
Zwischen 1971 und Dezember 1985 bestritt der Wismutangreifer 310 Punktspiele, erzielte dabei 31 Treffer. Anschließend betreute Jürgen Escher die B-Junioren der Veilchen und trainierte den Oberligakader zwischen April und Juni 1988 sowie von Herbst 1989 bis November 1990. Nach der Wende sattelte er um, erwarb zum Diplomsportlehrerabschluss (1976) Qualifikationen in Marketing und Management, baute als Geschäftsführer ein sächsisches Bildungsunternehmen mit auf. Seit 2015 ist „Eschi” im Ruhestand, lebt in Scheibenberg und ist wieder regelmäßiger Gast der Zweitligapartien im Erzgebirgsstadion. Bernd Friedrich, Ronny Graßer und Olaf Seifert trafen den 65-Jährigen im März 2017 im Auer Café „Samocca”.
„Eschi” im Oberligapunktspiel der Veilchen gegen den FC Hansa Rostock am 16. Oktober 1982. Die Partie endete mit einem torlosen Unentschieden. Foto: Frank Kruczynski
Du bist, geboren am 5.10.1951, in Markersbach aufgewachsen. Von wem stammt das Fußballgen?
Mein Vater Karl-Heinz spielte in der Mannschaft des Dorfes, also war auch ich von Kindesbeinen an am Ball. Ab Klasse eins oder zwei ging es in der Jugendmannschaft los, wo ich der Jüngste und Kleinste war. Wenn man gegen stärkere Jungs ran muss, die fünf, sechs Jahre älter und zwei Köpfe größer sind, lernt man, sich durchzusetzen. Nicht bloß im Sport half mir das später.
Wie kamst Du zu den Veilchen?
Ich hatte ab 1968 bei der SDAG Wismut in Schlema gelernt, Elektromontageschlosser mit Abitur. Wir spielten gegen die Parallelklasse und gewannen sicher, obwohl sie gespickt war mit Jungs aus der Juniorenoberligamannschaft der BSG. Anschließend wurde ich nach Aue eingeladen. Ich spielte erst weiter bei den Männern in Markersbach, trainierte aber im Lößnitztal mit und war danach anderthalb Jahre bei den Wismut-Junioren, ehe ich 1971 für den Oberligakader der Erzgebirger nominiert wurde.
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Jürgen Escher in einem Oberliga-Westsachsenderby in Aue mit dem Ball am Fuß vor dem Zwickauer Roland Stemmler. Foto: Archiv Bernd Friedrich
Was bleibt aus Deiner aktven Zeit lebendig?
Vor allem emotionale Höhepunkte, zum Beispiel die großen Schlachten gegen den scheinbar übermächtigen BFC Dynamo, den wir in den Achtzigern sogar ein paarmal schlagen konnten. Oder die internationalen Auftritte, auch wenn es sportlich selten gut lief. Immerhin, 1985 schaffte Aue den Gruppensieg im IF-Cup gegen Eintracht Braunschweig, Stavanger und Slavia Prag. Bitter, aber unvergesslich bleiben die zwei Pokal-Halbfinalkrimis im Frühjahr ’75 gegen Sachsenring Zwickau: Im Hinspiel in Zwickau umstrittene Elfmeterentscheidungen und in Aue wurden uns zwei Treffer und damit das Endspiel gegen Dynamo Dresden verwehrt. Im Dezember 1983 erlitt ich gegen Rostock eine Schädelfraktur, musste mehrere Monate pausieren und zwei Jahre darauf schließlich ganz aufhören. Damals, wie bei allen Herausforderungen später, schätzte ich den Zusammenhalt. Die Freunde in der Mannschaft und ganz besonders meine Familie. Deshalb hier ein Dankeschön meiner Frau Christina und unseren Söhnen Thomas und Christian!
Du hast danach als Trainer gearbeitet, aber da gab es wohl schon 1985 mal ein Intermezzo?
Stimmt, Harald Fischer war im Oktober zurückgetreten und zusammen mit Konrad Schaller als Assistent bekam ich – damals noch Spieler – die Verantwortung übertragen, ehe im Dezember Hans Speth übernahm. In den Jahren darauf trainierte ich dann unser Jugendoberligateam, sprich die B-Junioren. In der Rückrunde 1988 bekamen „Conny” und ich den Auftrag, Wismut vorm Abstieg zu bewahren, was auch gelang.
Anders in der letzten Saison der DDR-Oberliga. Bereits im Sommer ’89, nach dem Spiel in Göteborg, waren mit Jens König, Thomas Weiß und André Köhler unsere drei besten Spieler in den Westen gegangen. Steffen Krauß erkrankte, fiel auch aus. Das konnten wir nicht kompensieren. Schließlich war Trainer Uli Schulze über Nacht weg und ich übernahm Wismut im Wende-November auf dem letzten Tabellenplatz. Trotzdem fehlte am Ende wenig zum Klassenerhalt: zwei Tore oder ein Punkt. Der Neubeginn in der NOFV-Liga B stand unter ganz schlechtem Stern: Sponsor Wismut auf dem Absprung, Vereinsverantwortliche verhaftet, Geldsorgen, verunsicherte Spieler... Nach der ersten Niederlage musste Trainer Escher gehen. Zu Hause stand die Frage, ob ich weiter als Trainer arbeite oder was Neues beginne. Auch wenn ich noch mal die Schulbank drücken musste, habe ich micht für die Alternative entschieden.
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Jürgen Escher läuft dem Dresdner Hans-Jürgen Dörner davon, Steffen Krauß im Hintergrund beobachtet den Spielzug in der Oberligapartie gegen Dresden am 14. April 1984 (1:2).Foto:Frank Kruczynski
Die Du nie bereut hast?
Nie. Ab 1993 war ich Geschäftsführer des Bildungsträgers VBFA in Bad Schlema, mit Schulen später auch in Chemnitz, Aue und Annaberg-Buchholz. Es ging darum, jungen Menschen über außerbetriebliche Ausbildung Perspektive zu geben. Eine verantwortungsvolle, wunderschöne Aufgabe. Außerdem hatte ich meine Familie, konnte im Erzgebirge bleiben. Und ganz vom Fußball musste ich ja auch nicht lassen...
Zum Beispiel bei Oldieturnieren wie dem in Lößnitz, dass Du mitorganisiert hattest.
Zu vielen Mannschaftsgefährten hielt ich guten Draht, mit den Familien von Dietmar Pohl und Konrad Schaller waren Eschers im Urlaub. Solange es gesundheitlich ging, blieb ich selber im Oldieteam am Ball und zusammen mit Uli Ebert und dem Wochenspiegel-Verlag wurde das Turnier in Lößnitz aus der Taufe gehoben, das immerhin 15-mal Fans und Spieler in den Bann zog. Zudem treffen wir alten Spieler uns regelmäßig privat. So steht am 2. Dezember 2017 im Sosaer Schützenhaus wieder eine Weihnachtsfeier an. Nicht vergessen, Kumpels!
Beim Punktspiel am 22. Februar 1986 gegen die SG Dynamo (1:1) wurden die langjährigen Wismut-Spieler Holger Erler und Jürgen Escher von den Vereinsverantwortlichen Werner Lorenz und Richard Velek (von links) als Leistungssportler verabschiedet. Foto: Frank Kruczynski
Veilchenecho-Autor Bernd Friedrich schätzt Deine strategischen Fähigkeiten im Schach, sagt, gegen „Eschi” war es nie leicht zu gewinnen. Du bleibst sportlich aktiv?
Ich erinnere mich, wir haben in mancher Trainingspause am Brett gesessen und die Welt um uns vergessen. Heute halte ich mich beim Wandern fit, zwischen Markersbach und dem Fichtelberg gibt’s ja viele herrliche Ecken. Wir sind eine größere Wandergruppe, haben viel Spaß miteinander. Außerdem fahre ich gerne Ski, auf den Loipen der Hundsmartertrasse ebenso wie auf den Pisten in Oberwiesenthal und am Keilberg. Und ich schaue mir die Spiele des EHV in Lößnitz und jetzt auch wieder die der Veilchen in Aue an.
Du kennst Abstiegskampf. Wie fühlt ein Fußballer eine Niederlage wie zuletzt gegen Dynamo?
Ich hab’ das Spiel im Stadion erlebt. Mitgelitten. Nach so einem Auftritt muss man alles und muss sich jeder hinterfragen. Die Kunst ist, danach schnell den Kopf frei zu bekommen und sich so aufs folgende Spiel vorzubereiten, damit man Erfolg hat. Ich habe nach solchen Schlägen früher zwei, drei Tage gebraucht, um körperlich und geistig wieder da zu sein. Es funktioniert nur übers Training, mit Kampf und unbedingtem Einsatz. Und mit Identität, sonst klappt es gar nicht. Da kann es schon helfen, wenn der FC Erzgebirge seine Traditionen pflegt. Gut für die Fankultur, gut für den Geist im Verein. Natürlich auch für uns Alte und ich wünsche mir, dass der FC Erzgebirge uns einlädt und die Verbindung dann auch über Jahre pflegt.
Interview: Olaf Seifert im März 2017
News-Fotos: Foto-Atelier Lorenz
Jürgen Escher im Interview mit den Veilchenecho-Redakteuren Bernd Friedrich (links) und Olaf Seifert, Foto: Ronny Graßer
Am 24. Februar starb mit Konrad Schaller ein Spieler- und Trainerkollege. Was empfindest Du?
Den Verlust eines sehr, sehr guten Freundes. Bei Wismut spielte er im linken Mittelfeld, also direkt hinter mir, später war er mein Co-Trainer. „Conny” ist ein großer Kämpfer gewesen, riss andere mit, konnte sich gut in Spieler hineinversetzen und hat darum auch als Trainer erfolgreich gearbeitet, speziell der ZFC Meuselwitz verdankt ihm viel. Unsere Familien sind zusammen im Urlaub gewesen, wir trafen uns bei Oldieturnieren und hielten Kontakt bis zuletzt, als ich den schwer Kranken nur noch im Pflegeheim besuchen konnte.