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Kapitän 1965 - 1975: Dietmar Pohl

„Der ruhende Pohl” war kompromissloser Verteidiger und zehn Jahre Aues Kapitän

In 13 Jahren bestritt Dietmar Pohl 267 Oberligapartien für die Auer Farben und schoss dabei 15 Tore. Hinzu kommen 76 internationale Einsätze, 30 im FDGB-Pokal und 167 Freundschaftsspiele, 61 Begegnungen in der Reservemannschaft plus drei für Aue II in der DDR-Liga. 27mal wurde der Verteidiger in National- beziehungsweise Olympiateams berufen. Zwischen 1965 und bis zum verletzungsbedingten Karriereende 1975 trug „Diede” oder „Pohlini” – so zwei seiner alten Spitznamen – die Kapitänsbinde. Heute lebt der 75-Jährige in Zwickau und engagiert sich dort ehrenamtlich im Freizeitsport.

Die Sportgene geerbt hatte der am 29. Juni 1943 in Wilkau-Haßlau geborene Dietmar von Vater Siegfried, einem Fußballer im örtlichen Verein. Der Junge war wie seine Freunde Straßenkicker, probierte es mit Turnen und Leichtathletik und begann mit elf Jahren als Stürmer bei der BSG Wismut Wilkau-Haßlau zu trainieren. „Der Sportplatz lag am Schulweg, dort wurde nach dem Unterricht der Ranzen hingeschmissen und gebolzt. Wismut-Asse wie die ,Wölfe’, Manfred Kaiser oder mein späterer Trainer ,Binges’ Müller waren unsere Vorbilder”, erinnert sich „Diede” und weiß noch genau, wie ihn Manfred Fuchs (nach dessen aktiver Zeit Sichtungstrainer beim Kumpelverein) bei einem Pfingstturnier mit Teams wie Austria Wien, ASK Vorwärts Berlin, SC Motor und SC Wismut Karl-MarxStadt sowie eben den Wilkau-Haßlauern raus fischte. Da spielte „Pohlini” schon in der JugendBezirksauswahl als rechter Verteidiger. So wechselte das Talent 1961 zum besten der Wismut-Vereine ins Lößnitztal. Aufgrund eines Meniskuseinrisses kam der Abiturient zunächst in der Reserve zum Einsatz, bekam seinen ersten Oberligaeinsatz erst ein Jahr später gegen Lok Leipzig. „Die Reserve war eine gute Schule, sie spielte immer vor den Oberligapartien der ,Großen’ und wir Jungen durften uns den Trainern vor vollen Rängen zeigen.

Szenen aus Westsachsenderbys zwischen Aue und Zwickau in den 1960er Jahren. Bilder 1 und 2: Motive vom Oberligaauftritt von Wismut Aue im Georgi-Dimitroff-Stadion am 14. Mai 1966, welchen die Veilchen mit 1:0 gewannen. Links klärt Dietmar Pohl vor dem Zwickauer Gerd Mattern, rechts kommt er gegen Horst Jura zum Kopfball. Bild 3: Per Kopf klärt der Auer Kapitän im Punktspiel am 27. Mai 1965 vor Peter Henschel (BSG Motor Zwickau). Bild 4: Pohl entscheidet ein Duell mit Hartmut Rentzsch zu seinen Gunsten und auch am Ende sind die Wismutspieler oben auf: Die Gäste aus Aue gewinnen 1:0. Fotos: Frank Kruczynski (4)

Alles in allem bestritt Dietmar zwischen 1962 und 1975 für die erste Auer Mannschaft 542 Spiele. Als 22-Jähriger übernahm er 1965 die Kapitänsbinde vom legendären „Binges” Müller und trug sie ein Jahrzehnt lang. „Der Trainer hatte mich vorgeschlagen, denn trotz meiner Jugend besaß ich schon Erfahrung, konnte meine Mitspieler vertreten und habe zentral in der Abwehr Ruhe ausgestrahlt. ,Der ruhende Pohl’ sagten die Kollegen. Menschlich muss es wohl auch gepasst haben”, schaut der Rentner heute zurück. Parallel absolvierte Dietmar ein Spotlehrerstudium an der DHfK in Leipzig. Mit der DDR-Olympiamannschaft bereitete sich der Auer auf die Spiele 1964 in Tokio vor, erinnert sich gut an ein Freundschaftsmatch gegen Flamengo Rio de Janeiro in Leipzig. Doch bei einem Test von Wismut in der Tschechoslowakei erlitt er einen Knöchelbruch; der Traum von Olympia war geplatzt. Der Westsachse blieb aber im Kader, spielte mit der Auswahl zum Beispiel gegen Dänemark, Österreich, Schweden und Polen. „Einmal, 1965 in Oslo, durften wir nicht als DDR-Vertreter antreten, weil Norwegen NATO-Mitglied war. So liefen wir unter Messestadt Leipzig auf und wurden quasi inkognito in Taxis durch die Hauptstadt chauffiert”, verrät „Pohlini” eine Episode. 1965 verfügte DTSB-Sportchef Manfred Ewald dann, dass Spieler aus BSGs nicht mehr in Auswahlteams spielen dürften, sie sollten zu den großen Klubs. „Aus Aue sollten schon 1963 acht Leute nach Karl-MarxStadt: Dieter Erler, Manfred Kaiser, Lothar Schmiedel, Ernst Einsiedel, Torwart Manfred Hambeck, Bringfried Müller, Albrecht Müller und ich. Doch die Arbeiter in den Wismut-Betrieben drohten mit Streik. Zunächst erwogen die Oberen einen Kompromiss, die eine Hälfte der Heimspiele des SC Wismut sollte in der Bezirksstadt, die andere in Aue ausgetragen werden. Am Ende durften die Jungen – Schmiedel, Einsiedel und ich – im Erzgebirge bleiben, Manfred Kaiser und ,Binges’ Müller beendeten kurz darauf ihre Laufbahn. Und unser Verein durfte ab 1963 wieder BSG Wismut Aue heißen”, erzählt der Spieler. Das erste Gastspiel der Karl-Marx-Städter in Aue endete 0:0, hinter den Toren standen Wasserwerfer. „Für viele Wismut-Anhänger war es darum eine Genugtuung, als wir den DDR-Meister von 1967 FC Karl-Marx-Stadt drei Jahre später mit 2:1 schlugen und damit absteigen ließen. Das Spiel war wegen einer Platzsperre des ,Clubs’ in Halle ausgetragen worden.

In einem Oldievergleich 1990 bremst Dietmar Pohl (rechts) den Sturmlauf des früheren DDR-Nationalspielers Martin Hoffmann aus Magdeburg. Foto: Frank Kruczynski

Obwohl Pohl nicht mehr im Nationalkader stehen durfte, blieb er der BSG treu. Es kamen immer wieder Angebote von Klubs, besonders Dynamo-Trainer Manfred Fuchs drängte ihn, nach Dresden zu gehen. „Aber ich war Kapitän, meine Familie wohnte in Aue und ich genoss Vertrauen. Wismut hatte seit den Fünfzigerjahren Geschichte geschrieben. Das Trikot dieses Vereins zu tragen war uns wichtiger als ins Ausland zu reisen”, bekennt sich Dietmar und fügt hinzu, dass sie als Spieler ein gutes Leben hatten. „Die SDAG Wismut war eine Macht. Unser Geld stimmte, wir hatten Ferienplätze an der Ostsee sowie Trainingslager in Oberwiesenthal und in sozialistischen Ländern.” 1965 wurden die Auer Spieler im Trainingslager in Schönheide abgeholt, es ging nach Westafrika. „Hier herrschten zehn Grad minus, dort unten 30 Grad plus. Wir bestritten Spiele in Guinea, Senegal und Mali.
Wenn nicht die Punktspiele angestanden hätten, wären wir noch nach Kongo-Brazzaville geflogen. Die DDR wollte die Kontakte zu diesen Ländern vertiefen, aber kein Fußballklub konnte solch eine Reise bezahlen. Die Wismut konnte!” Trotz der erforderlichen Akklimatisierung gelang danach ein erfolgreicher Rückrundenstart mit einem 1:0-Sieg gegen den 1. FC Magdeburg.

eine Szene aus der Oberligabegegnung vom 23. März 1974 in Aue: Die Wismut-Spieler Dietmar Pohl, Andreas Pekarek und Ernst Einsiedel setzen sich gemeinsam gegen die Zwickauer Hartmut Rentzsch, Andreas Reichelt und Dieter Schubert durch. Foto: Frank Kruczynsk

1972/73 war eine besondere Saison für den Wismut-Kapitän. In 23 Punktspielen erzielte er acht Treffer, davon sechs vom Elfmeterpunkt. „Ich habe nie gehämmert, habe den Torwart immer hinlegen lassen”, sagt er dazu verschmitzt. Und einen weiteren Rekord verbucht „Diede”: Vom 29. November 1964 bis zum 28. Oktober 1970 bestritt der Verteidiger 171 Pflichtspiele in Folge für Aue – ohne Unterbrechung. Sein schönstes Tor? „Das 1:0 in einem Auswärtsspiel 1963 gegen den SC Dynamo Berlin, nach einer Ecke ging mein Schuss aus 16 Metern oben ins Dreieck. Am Ende siegten die Berliner 5:1, weil wir in der zweiten Halbzeit nur mit neun Spielern auf dem Platz standen und nicht wechseln durften.” Übrigens markierte Pohl 1966 den ersten Treffer für die „Veilchen”. Sie traten damals in den neuen lila Trikots an. Sein Tor war das 1:0 gegen Chemie Leipzig (Endstand 2:1). Nach der zweiten Meniskus-OP 1975 war Schluss, er hatte schon Arthrose im Knie. Die Fans liebten Spieler wie ihn. So hatte die Wismut-Brigade Hoff gedichtet: Was für Deutschland Helmut Haller, ist für Wismut Konrad Schaller. Was für uns der Alkohol, ist für Wismut Stopper Pohl”. Ab 1975 arbeitete Dietmar zwei Jahrzehnte lang als Trainer. Über Wismut Gera, Fortschritt Weida und Motor Werdau kam er zur BSG Sachsenring, war mit Unterbrechungen 14 Jahre für die Zwickauer von der Ober- bis zur 2. Bundesliga tätig. Er war Co-Trainer zum Beispiel unter Jürgen Croy, Udo Schmuck, Harald Irmscher, Joachim Streich, Heinz Werner, „Charly” Körbel und Hans-Uwe Pilz, dazu sechs Jahre Coach der zweiten Mannschaft in der Landesliga. 1993 folgte er der Bitte von Gerd Schädlich und trainierte die Zweite und die Junioren des FSV.

Wismuts Elfmeter Spezialist Dietmar Pohl

Zudem blieb er bei Oldie-Turnieren aktiv, hob 1990 die Westsachsenauswahl mit aus der Taufe. Mit ihr kickte Dietmar in dem Wendejahr vor 10.000 Zuschauern in Aue gegen die Uwe-Seeler-Auswahl (3:3), zusammen mit „Uli” Ebert, Holger Erler, Alfons Babik, Jürgen Escher, Joachim Schykowski, Jürgen Bähringer, Dieter Schüßler u.a. Als die West-Stars staubedingt zu spät kamen, hatte sich Kapitän Paul Breitner am Anstoßpunkt bei Pohl entschuldigt. Lachend erwiderte der: „Zwanzig Jahre haben wir auf Euch gewartet, da kommt es auf die halbe Stunde auch nicht mehr an.”
Ebenfalls 1990 gründete Dietmar den Verein Sport und Gesundheit e. V. mit, zunächst, um den Freizeitsportsektor der BSG Sachsenring zu retten. Dort ist der jetzt 75-Jährige weiter aktiv, leitet den Rehasport und führt seit zwanzig Jahren einmal wöchentlich das Behindertenschwimmen durch. Denn: „Der Fußball hat mir so viel gegeben, ich war aber auch selber oft verletzt. Behinderten zu helfen, ist darum eine Erfüllung für mich.” Obendrein war Pohl neun Jahre lang in der Freizeit Rechtsbeistand beim NOFV. Für seinen Einsatz ehrte ihn 2016 der Sächsische Staatsminister Markus Ulbig mit dem „Joker im Ehrenamt”.

Dietmar Pohl lebt heute in Zwickau. Foto: Gregor Lorenz

Bestimmt habe er in all den Jahren zu wenig Zeit für die Familie gehabt, ahnt der Vollblutsportler: „Darum an dieser Stelle ein lautes Danke meiner Frau Regina und unserem Sohn Sirko, der selber mal in der 2. Bundesliga am Ball war!” Wohl fühlt sich „Diede” im Kreise ehemaliger Wismut-Spieler, die sich regelmäßig in Sosa, zu Weihnachtsfeiern, aber auch im Erzgebirgsstadion treffen. „Wirklich ein toller Fußballtempel. Ich habe jetzt vom FCE eine VIP-Karte und so oft es geht bin ich live bei den Spielen. Um das Team anzufeuern und alteKumpel wie Klaus Zink, „Ede” Schüßler, Bernd Bartsch, Günter Seinig, Karl Groß, Lothar Spitzner und andere zu treffen.

Text: Olaf Seifert