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Kapitän 2008-2010: Tomasz Kos

Er war Abwehrfels in Gerd Schädlichs Zweitliga-Team, blieb nach dem Abstieg 2008 an Deck, stand als Kapitän in Liga 3 auf der Brücke, bestritt 205 Pflichtspiele für die Veilchen. Auch heute, als Scout beim polnischen Erstligisten BKS Lechia Gdansk, bleibt Tomasz Kos Aue treu, denn seine Frau Kerstin und der Ex-Fußballprofi haben in der Stadt Wurzeln geschlagen. Veilchenecho-Redakteur Olaf Seifert und Ronny Graßer vom FCE trafen den 44-Jährigen Ende April 2018 im Café „Samocca” auf einen Capuccino.

Kölns Keeper Faryd Mondragon und Tomasz Kos hochemotional!Der spätere Auer Kevin Pezzoni, Kevin Mc Kenna „Kosi”, Schiri Dr. Felix Brych sowie die Veilchen Fiete Sykora und Marco Kurth wollen die Wogen glätten. Szene aus Aue gegen 1. FC Köln (3:3;25.4.2008). Foto: Frank Kruczynski

„Das is’ net mein Ding. Ich bin zu emotional, unbequem. Wäre bestimmt ungerecht zu meinen Spielern. ,Du bist einfach, aber kompliziert’, sagt meine Frau über mich. Aber ich verstehe die neumodische Fußballergenerationen auch nicht mehr. Heute müssen Hightech-Schuhe rot, grün, bunt schillern. Ich habe mein Leben lang bloß schwarze Töppen getragen”, erwidert „Kosi” auf die Frage, ob er gern Trainer geworden wäre. Zu Drittligazeiten saß er mal neben „Skerdi” und Thomas Paulus hinten im Mannschaftsbus. Die drei lasen BILD und Kicker, als die jungen, wilden Spieler ihre Tablets raus holten und es überall piepte, klingelte, nervte. „Wie im Computerladen. Wir sahen uns an und ich flüsterte: ,Paule, das ist die neue Zeit. Wir sind die letzten Zeitungsleser. Machen wir Schluss mit Fußball!’” Tomasz machte zwar weiter, erst 2011 war verletzungsbedingt Schluss. Den Werten, mit denen er als Bub in Polen aufwuchs, bleibt er dennoch treu.
Geboren ist Kos am 4. April 1974 im zentralpolnischen Kolo, wo er im Verein Olimpia das Fußball-ABC lernte. Zunächst eher schmächtig, flink und als Zehner eingesetzt, rückte er peu-à-peu nach hinten.
1993 fiel in einem Freundschaftsspiel auf, wie kompromisslos der Manndecker vom Viertligisten Kolo dem Stürmer des Erstligisten Sokol Pniewy „am Arsch klebte” – und Kos wechselte in die Eliteliga. Bei Pniewy und Lodzki KS, wo er zusammen 142 Erstligaspiele bestritt, profilierte sich der junge Verteidiger. Er wollte sein wie die Idole seiner Zeit, die Boniek, Deyna oder Lato, doch sein Vater drückte erst mal durch, dass der Sohn was Vernünftiges lernt: Maschinenbauer. Kos erinnert sich: „Kämpfen, kämpfen, kämpfen. So wurde ich zu Hause erzogen. Ich wollte im Sommer zelten, also hieß es zuvor beim Bauern für ein paar Zloty malochen. Damals nervte das, aber es hat mir nicht geschadet, im Gegenteil.” Einen Zeugwart habe er erst in Deutschland gesehen: „In Polen mussten wir die Fußballschuhe selber putzen und für die erfahrenen Spieler gleich noch mit. Auch in Aue habe ich das immer selbst gemacht.”

Auf dem Bild bejubeln Dino Toppmöller, Tomasz Kos, Torschütze Andrzej Juskowiak und René Trehkopf (von links) das 1:0 gegen die Münchener „Löwen”. Die Veilchen gewinnen das Zweitligaheimspiel vom 13. August 2004 mit 3:1. Fotos: Frank Kruczynski

1998 kam der lange Schlacks zum FC Gütersloh und merkte sofort, dass er körperlich kaum mithalten konnte. „Der Unterschied zwischen Liga eins in Polen und der 2. Bundesliga war damals gewaltig. Ich war einsneunzig groß, aber bloß 74 Kilo leicht. Essen durfte ich darum, was andere Fußballer meiden sollten, alles Ungesunde. Ich habe – vor allem dann in Nürnberg, wo auch mal ein Halbmarathon auf dem Plan stand – gezielt und viel Fitness trainiert. In Aue hat mir dann Co-Trainer Marco Kämpfe sehr geholfen, athletisch und konditionell aufzuholen.” Als die Ostwestfalen 1999 abstiegen, holten ihn die „Clubberer”, die in die 1. Bundesliga zurück wollten. Sein Fazit: „Die Nürnberger Jahre waren herrlich, mit manchem Kollegen von damals bin ich heute noch befreundet. Ich bestritt dort über 100 Punktspiele. 2002 sind wir in die Bundesliga aufgestiegen, ich war Kapitän und trug dreimal das polnische Nationaltrikot.” 2002/03 war Tomasz lange verletzt, mehrere Bandscheibenvorfälle bremsten ihn aus, insgesamt laborierte er mehr als ein Jahr lang. Doch Tomasz wollte weiter Fußball spielen, warum nicht beim Zweitliga-Newcomer FC Erzgebirge?

Tomasz Kos und martin Männel. Foto: Frank Kruczynski

Schon im Winter 2003/04 hatte Trainer Schädlich ihn kontaktiert, ließ nicht locker, rief wieder und wieder an. „Dieses Interesse, seine Art gefielen mir. Die Aufgabe, die junge Truppe im Abstiegskampf mit zu führen, reizte mich. Nach dem Medizincheck haben Gerd und ich die Sache per Handschlag klar gemacht. Der Vertrag hatte Zeit, denn es war von Beginn an Vertrauen da”, schildert „Kosi”. Seine erste Begegnung mit Aue hat er noch lebendig vor Augen: „Es war Ende Mai, Anfang Juni 2004. Den Autobahnzubringer gab’s noch nicht. Ich kam aus Nürnberg, war ziemlich schnell unterwegs – auf einmal ist die Straße zu Ende. Stockfinster! Ich bin ewig in der Industriezone Alberoda rumgegurkt. Dachte: Wo biste hier bloß gelandet?!” „Kosi” war vom FCN Profistrukturen gewohnt; in Aue war’s eher familiär, die Strukturen entstanden nach und nach. Und nach Hochdeutsch in Gütersloh und Fränkisch in Nürnberg lernte er  Deutsch zum dritten Mal: „Erzgebirgisch, eh, ich verstand nur Bahnhof¼.” Mit Andrzej Juskowiak spielte ein Landsmann für den FCE, den Tomasz bei Olympia ’82 in Barcelona schon im Fernsehen bewundert hatte. Jetzt war „Jusko” Leitfigur in Aue, bald schon sein Kumpel. Für Kos war das Erzgebirge nie Zwischenstation: „Was ich mache, mach’ ich zu 100 Prozent. Ich war ja schon 30 und wollte mit Aue noch was erreichen.” Der Plan ging auf, Kos war ein wesentlicher Garant, um die 2. Liga zu halten. Das Duell bei den Münchner „Löwen”, als die Hälfte der Allianz-Arena lila-weiß war, vergisst er nie. So wenig wie die DFB-Pokal-Krimis gegen Bayern München oder St. Pauli. Nicht den Sieg Ende April 2010 gegen Braunschweig, mit dem der Aufstieg besiegelt war. Und nicht das Heimspiel gegen Kickers Offenbach im Advent 2009: „Wir lagen 0:2 hinten, plötzlich faucht überm Stadion eine Dampflok, pfeift einmal, zweimal. Oder noch öfter? Da ging ein Ruck durch das Team und die Fans, am Ende gewannen wir 4:2. Und von da an wusste ich: Wir steigen auf!”

12. Dezember 2009: Dampflok gab Signal zum Aufstieg. Foto: Burg

Kos war nach dem Abstieg 2008 geblieben. Warum? „Wer keine Träume hat, ist tot. Ich hatte es doch mit verbockt, war sauer auf mich. Obwohl schon 34, wollte ich beim Neuaufbau helfen, die junge Mannschaft mit stabilisieren. Als dann die Cottbus-Combo kam – Männel, Hochscheidt, Hensel & Co. – spürte man, dass mit solchen Jungs was gehen kann. Es wuchs eine gute Truppe heran.” Mit dem erneuten Aufstieg 2010 unter Rico Schmitt war auch seine Mission erfüllt, doch jetzt wollte er’s noch mal wissen in Liga zwei. In der 3. Liga hatte er sich immer durchgebissen, sogar mit Leistenbruch gespielt, aber nun wusste sein Körper, dass zunehmend die Fitness fehlte. Es blieb bei meist kurzen Einsätzen.

Kein Durchkommen für Freiburgs Alexander Iashvili, der im Zweitligamatch am 1. Oktober 2006 sauber gestoppt wird. Nach dem Abpfiff freuen sich Kos & Co. über einen ebenso sauberen 3:1-Erfolg

2011 hängte Tomasz die (schwarzen) Töppen an den Nagel. Vier, fünf Wochen nix tun, seiner Frau in der Gastronomie helfen. Irgendwann wurde ihm langweilig. Der Ex-Profi kannte viele in der Branche, stieg ins Fußballgeschäft ein. Seit anderthalb Jahren ist er Scout und Spielbeobachter bei Lechia in Danzig, erste polnische Liga. Sagt: „Du düst jede Woche quer durch Europa, musst flexibel sein. Heute früh war ich noch in Holland, morgen fahr’ ich weiter nach Polen, dann nach Tschechien, Portugal... Es schlaucht, aber ich bin glücklich in dem Job. Auch meine Kerstin, die in Aue ein Catering betreibt, fühlt sich wohl.” Die Stadt liege zentral – und natürlich lasse ihn der FC Erzgebirge nicht kalt. Heute gegen Dynamo ist „Kosi” wieder mal im „Schacht”, sagt: „Die Derbys gegen Dresden waren immer grandios. Jammerschade, wenn es die in der 2. Bundesliga nicht gäbe.” Das neue Stadion gefällt ihm. Auch, wenn er sich mehr Parkplätze wünscht und fürs alte mehr als eine Träne übrig hat: „Die alte Kiste hatte auch ihren Reiz. Mann, was haben wir dort für Schlachten geschlagen...”

Text: Olaf Seifert
NewsFoto: Foto-Atelier Lorenz