Neuzugang Dimitrij Nazarov: „Keiner im Team ist satt, alle sind hungrig”
Zu den Neuverpflichtungen dieses Sommers gehört mit Dimitrij Nazarov ein erfahrener Zweitligaprofi, der als offensiver Mittelfeldmann und Mittelstürmer zuletzt beim Karlsruher SC erfolgreich war. Zudem hat der FC Erzgebirge mit dem 26-Jährigen einen aktuellen Nationalspieler in seinen Reihen; in die Auswahl von Aserbaidschan wurde er bisher achtzehnmal berufen.
Darauf angesprochen, gesteht „Dima” natürlich, stolz und glücklich zu sein: „Du spielst gegen das große Italien und gegen Kroatien, das sind Riesenerlebnisse! Im Heimspiel gegen die Azzurri im fantastischen neuen Stadion von Baku habe ich sogar den Treffer zum zwischenzeitlichen 1:1-Ausgleich erzielt. Jetzt hoffe ich, im kommenden März beim WM-Quali-Spiel gegen Deutschland eingeladen zu werden.” Aber schnell kehrt der am 4. April 1990 im sowjetischen Krasno armejsk geborene Fußballer zum Hier und Heute zurück, konzentriert er sich doch in erster Linie auf die Herausforderung bei den Veilchen. „Klassenerhalt lautet das Hauptziel für uns als Aufsteiger. Ich kenne die 2. Liga aus meiner Zeit beim KSC, hier kann jeder jeden schlagen. Es ist alles möglich, deshalb musst du immer deine Chance suchen, Punktspiele mit der selben Einstellung wie die Pokalspiele angehen. Darum müssen wir jedes Mal die volle Leistung abrufen und lernen, Rückschläge sofort wegzustecken”, so seine Sicht.
Im Pokalduell gegen den FCI freut er sich nun, seinen bisherigen Trainer Markus Kauczinski wiederzusehen. Dimitrij hatte in den letzten drei Jahren in Karlsruhe gespielt, in 77 Zweitligapartien zehn Tore für die Badener markiert. Klar wisse er, wie sein Ex-Coach ticke, kenne dessen Philosophie, doch eben darum sei ihm auch bewusst, dass der Bundesligist am Sonntag keine Geschenke nach Aue mitbringe. „Aber wir spielen zu Hause und sind schon im Ligabetrieb, während die Ingolstädter noch nicht recht wissen, wo sie stehen. Wenn wir jeden Zweikampf annehmen, eigene Chancen konsequent nutzen und das nötige Glück haben, können wir in die nächste Runde kommen”, ist „Dima” überzeugt. An seine Zeit unter Kauczinski hat er gute Erinnerungen, speziell die beiden Relegationsspiele 2015 gegen den Hamburger SV sind im Gedächtnis, obwohl sein KSC am Ende knapp „zweiter Sieger” blieb. Gleichwohl hat sich Nazarov den Wechsel gewünscht: „Nach drei Jahren brauche ich den Tapetenwechsel. Obwohl mir weitere Angebote aus der 2. Liga vorlagen, habe ich mich für Aue entschieden. Herr Dotchev, den ich aus dem Jahr 2012/13 bei Preußen Münster kannte, hat mich schnell überzeugt. Und ich habe gleich gemerkt, dass hier nach dem Wiederaufstieg eine tolle Euphorie herrscht und mit dem neuen Stadion viel wächst. Keiner im Team ist satt, alle sind hungrig und haben Spaß.” Hatte der 26-Jährige an den bisherigen Stationen Großstadtluft geschnuppert, lernt er nun den Reiz von Land und Leuten im Erzgebirge schätzen: „Mit meiner Freundin Jennifer, die hier auch schon Arbeit gefunden hat, und unserem Yorkshire-Terrier laufe ich gerne durch Wald und Flur. Man ist auch schnell in Dresden, Chemnitz oder Tschechien, wenn man andere Bilder sehen will.”
Aufgewachsen ist Nazarov, der deutsche Vorfahren hat und im Alter von einem Jahr mit der Familie aus Krasnoarmejsk (der Ort heißt heute Taintscha und liegt in Kasachstan) nach Deutschland zog, in Worms. Sein Vater und zwei Brüder spielten Fußball und so schlug auch Dimitrij schon mit vier Lenzen die ersten Bälle. Über Wormatia Worms kam er für insgesamt zehn Jahre zum 1. FC Kaiserslautern, wo er den Beruf des Sport- und Fitnesskaufmanns lernte, in der Geschäftsstelle arbeitete und in der Zweiten der Roten Teufel in der Regionalliga stürmte. 2010 und 2012 suchte der Pfälzer die Veränderung; so wechselte er erst zu Eintracht Frankfurt II, dann in die 3. Liga zu Preußen Münster. Vor allem die letztere Station war prägend: „Unter Pavel Dotchev haben wir eine richtig gute Saison gespielt, wären beinahe in die 2. Bundesliga aufgestiegen. Als ich erfuhr, dass Herr Dotchev nach Aue geht, habe ich die Entwicklung der Veilchen aufmerksam verfolgt und mich gefreut, als es tatsächlich mit dem Aufstieg geklappt hat.”
Was der erfahrene Profi an den bisherigen sportlichen Stationen gelernt hat, will er nun in Aue zur Geltung bringen. Neben seinen offensiven Qualitäten kann „Dima” auch nach hinten sichern und die Mitspieler einsetzen, sowohl mit Rechts wie auch Links abschließen und für den Spielaufbau arbeiten. Sowohl in Heidenheim als auch gegen Sandhausen konnte er das nach seinen Einwechslungen bereits andeuten und hofft nun, auch im Pokalduell gegen Ingolstadt das Vertrauen zu erhalten. Vertrauen genießt der Angreifer übrigens auch weiter beim aserbaidschanischen Nationaltrainer, dem einstigen kroatischen Weltklassekicker Robert Prosinecki. Aufgefallen war Nazarov freilich schon dessen Vorgänger im Amt, Berti Vogts. Warum aber darf ein in Deutschland aufgewachsener Fußballer ausgerechnet für die Kaukasusrepublik auflaufen? Schicksal, klärt Dimitrij schnunzelnd auf. Als er 1990 geboren wurde, gehörten Kasachstan ebenso wie Aserbaidschan noch zur Sowjetunion. „Ich bin damit für eine der Nachfolgerepubliken spielberechtigt und entschied mich, nachdem Herr Vogts mich angesprochen hatte, für Aserbaidschan”, fügt der Neu-Auer hinzu und sieht sogar Parallelen zwischen Nationalelf und FC Erzgebirge: „Die Sportstrukturen in dem kleinen Land werden von Jahr zu Jahr besser, wir haben ein tolles Nationalstadion und die Begeisterung der Aseris ist riesig. Auch in der Mannschaft passt es total, alle sprechen perfekt Russisch und sind stolz, für Aserbaidschans Farben zu kämpfen.” Wenn auch auf anderer Ebene, aber dort wie hier in Aue passiere sehr, sehr viel. „Schön, wenn man daran mitbauen kann!” (OS)
Text: Olaf Seifert
Foto: Foto-Atelier LORENZ