Radek Sionko „Meine besten Jahre waren die in Aue”
„Immer einsatzbereit, ein Top-Profi und ein feiner Charakter”, lobt Enrico Barth seinen einstigen Mannschaftskollegen Radek Sionko. Zwölf Punktspieltore in 91 Punktspielen erzielte der tschechische Mittelfeldspieler von 1999 bis 2002 für die Veilchen, hinzu kommen drei Treffer im Sachsenpokal. Olaf Seifert besuchte den 43-Jährigen daheim im nordböhmischen Podborany.
Geboren am 20. Januar 1976 im mährischen Ostrava, wuchs Radek wie sein ein Jahr jüngerer Bruder Libor mit dem Ball auf. Kein Wunder, denn Vater Rostislav stürmte unter anderem für den Bergleuteverein Baník Ostrava und erzielte in 188 Erstligaspielen zwanzig Treffer. „Am Tag meiner Geburt schoss Papa in Pilsen das entscheidende Tor, sodass Ostrava erstmals tschechoslowakischer Meister wurde”, erzählt der Sohn, der mit acht Jahren in der Schule den Baník-Scouts auffiel. In dem Verein lernte er das Fußball-Einmaleins, schaffte in der zweiten Mannschaft den Sprung in den Männerfußball und wechselte anschließend zum Zweitligisten Zelezárny Trinec.
Als sich der zentrale Mittelfeldspieler 1997 bei der Universiade, der Welt-Studenten-Olympiade, auf Sizilien im Spiel gegen China ein Bein brach, schien seine Karriere beendet zu sein. Doch Radek kämpfte sich beim Drittligisten NH Ostrava zurück und schaffte mit der tschechischen Auswahl zwei Jahre später bei der nächsten Universiade auf Mallorca Platz vier. Anschließend spielte er für den Kumpelverein Baník Havirov, wo sein Vater Trainer war, und MSA Dolni Benesov in der zweiten beziehungsweise dritten Liga. Derweil war Bruder Libor international erfolgreich, über Baník Ostrava und Sparta Prag führte sein Weg zu Strum Graz, Austria Wien, Glasgow Rangers und FC Kopenhagen. „Dessen Berater rief bei Lutz Lindemann an und empfahl mich für den FC Erzgebirge, daraufhin reisten der Aue-Manager und der neue Trainer Gerd Schädlich nach Mähren, um mich zu beobachten. Gegen Baník Ostrava II schoss ich zwei Tore für Dolni Benesov und am nächsten Samstag fuhr ich nach Aue. Ich glaube, die Formalitäten waren schnell erledigt und im folgenden Punktspiel lief ich schon auf”, erinnert sich Radek. Mit Platz drei und 60 Punkten schafften die Veilchen im Jahr 2000 sicher die Qualifikation zur Regionalliga Nord.
„Sportlich und menschlich waren die drei Jahre in Aue meine schönsten. Wir waren eine tolle Truppe”, sagt der Mittelfeldspieler und zählt einige der Kumpels von damals auf: Jörg Hahnel, Maik Kischko, Sven Beuckert, Enrico Barth, Petr Grund, Udo Tautenhahn, Hagen Schmidt, Jörg Kirsten, Borislav Tomoski, Steven Zweigler... „Radek gab in jedem Spiel alles, war genauso wie sein Landsmann Petr Grund ein unermüdlicher Arbeiter und prima Typ. In ganz kurzer Zeit konnten unsere Tschechen perfekt Deutsch”, meint Enrico Barth. „Ich wurde sofort herzlich aufgenommen, die Mitspieler, aber auch Mannschaftsleiter ,Zimbo’, Frau Ullmann, Frau Klein und vor allem Herr Lindemann haben mir viel geholfen. Auch von den Fans gab es Unterstützung, die Frühstückrunden beim ,Schelli-Bäcker’ vergesse ich nie. Zu Falk Schellenberger halte ich heute noch Kontakt, er hat alle meine Spiele auf Video”, schildert Sionko. „Schelli” habe er ein paarmal besucht und sich gefreut, wie das neue Erzgebirgsstadion wächst. „Die aktuellen Spiele des FC Erzgebirge verfolge ich im Internet. Ich würde gerne wieder ein paar der alten Spieler-Kumpel treffen, am liebsten mit ihnen in einem Alte-Herren-Team in Aue spielen. Auf jeden Fall fahre ich demnächst aber mal rüber zu einem Zweitligamatch, denn das fertige Stadion habe ich noch nicht live erlebt.” Welche Spiele ihm im Gedächtnis blieben? „Vor allem die gegen ostdeutschen Traditionsvereine, gegen Magdeburg, Sachsen Leipzig oder mein Kopfballtor beim Chemnitzer FC. Ganz große Hits waren die Sachsenpokalduelle gegen Zwickau und besondere Höhepunkte das DFB-Pokal-Spiel gegen den Hamburger SV und ein Freundschaftsspiel gegen Bayern München.” Respekt zollt der Tscheche Trainer Gerd Schädlich: „Er wollte immer gewinnen, immer das Bestmögliche. Für uns Spieler damals war er ein ,harter Hund’, aber aus heutiger Sicht sehe ich seine Arbeit positiv. Wenn du gut trainiert hast, hast du auch gespielt. Du musstest dir deine Chance vor jedem Spiel neu verdienen, Bonus gab es für keinen.” „Ein sehr guter Mensch, als Manager an der richtigen Position im Verein und mit großem Sportverstand”, sagt Sionko über Lutz Lindemann. Schmunzeln muss er heute noch über dessen Humor. „,Radek, du bist langsamer als der und der...’ Er nannte ein paar meiner Spielerkollegen. Ich erwiderte: ,Aber mit Ball bin ich schneller!’ Da musste Lutz lachen, eins zu null für mich. Ein andermal waren wir in einer Schule zur Autogrammstunde. ,Wo gibt’s die schönsten Mädchen?’ fragte ein Schüler. Lindemann zuckte die Schultern. ,Na, in der Tschechei!’ rief ich und die ganze Halle jubelte, Lutz am lautesten.”
2002 verließ der Mittelfeldspieler Deutschland. ärgert er sich, den Aufstieg in die 2. Bundesliga ein Jahr später verpasst zu haben? „Ein wenig, aber ich hatte ein Angebot aus der ersten tschechischen Liga und Heimat ist Heimat.” Er wechselte zu Viktoria Zizkov, der Nummer fünf unter den Prager Fußballvereinen. Radek bekam nur wenige Erstligaeinsätze, stand im UEFA-Cup gegen die Glasgow Rangers und Betis Sevilla im Kader, spielte überwiegend in der 2. Mannschaft. Sionko wechselte noch mal, zum Zweitligisten Jihlava, und hörte 2005, mit 29, ganz auf zu spielen und sagt nach seiner aktiven Zeit: „Unterm Strich waren meine besten Fußballjahre die in Aue.”
Grund, die Töppen an den Nagel zu hängen, war nicht die Gesundheit, es waren die beruflichen Pläne. 2005 bekam er einen Job, für den er brannte. Bei der Sportartikelmarke Umbro war er für den tschechischen und slowakischen Markt mitverantwortlich. Von Prag aus betreute er viele tschechische Fußball-Erstligisten. Seit fünf Jahren ist Sionko nun Geschäftsführer der Brauerei Rakovník in der gleichnamigen böhmischen Stadt, um näher bei der Familie zu sein. Ein Fulltime-Job, der viel Spaß macht, aber auch stressig ist. Sport braucht Radek deshalb zum Relaxen. „Klopf auf Holz, ich bin noch fit, blieb von ernsten Verletzungen verschont. Deshalb kann ich in der Freizeit jede Menge Sport treiben, mit meinen beiden Jungs Ondrej (11) und Tomas (6) mache ich alles, was die wollen.” Ob Radfahren, Tennis, Eishockey, Skifahren am Keilberg, Schwimmen oder alles mit dem Ball; der Papa ist dabei. Er freut sich, dass der Große fleißig Tennis trainiert und der Jüngere Lust auf Fußball hat: „Tomas will, dass ich ihn bei uns in Podborany im Verein anmelde. Mach’ ich natürlich gerne.”
In der Kleinstadt am Duppauer Gebirge haben Radek und seine Frau Eva ein Haus gebaut. Spazieren beide die Wiese dahinter hoch, sehen sie in der Ferne den Kamm des Erzgebirges. Es ist also nicht weit nach Aue.
Text: Olaf Seifert
Fotos: Frank Kruczynski, Olaf Seifert