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Ulrich Schulze: „Ich bin stolz, einmal in Aue gewirkt zu haben”

In den Spielzeiten 1988/89 und 1989/90 trainierte Ulrich Schulze das Oberligakollektiv der BSG Wismut Aue. Noch bekannter ist der am 25. Dezember 1947 geborene Sportsmann freilich als einer der besten Torleute im DDR-Fußball, der 1974 mit dem 1. FC Magdeburg gegen den AC Mailand den Europapokal der Pokalsieger gewann. Für die Elbestädter sowie zuvor den 1. FC Lokomotive Leipzig bestritt „Uli” insgesamt 152 Oberligaspiele. Einmal, 1974 in der EM-Quali gegen Island (1:1), stand er für die Nationalauswahl im Kasten. Heute gibt Schulze Wissen und Erfahrungen an der Audi Schanzer Fußballschule, aber auch in chinesischen Colleges weiter. Mit dem 70-Jährigen, der im schönen Harzstädtchen Thale lebt, sprachen Burkhard Schulz und Olaf Seifert.


Beim Punktspiel im August 1974 in Zwickau. Als einzige DDR Mannschaft gewann der 1. FCM einen Europapokal, erkämpfte am 8. Mai ’74 im Feyenoord-Stadion zu Rotterdam gegen den AC Mailand den Cup der Pokalsieger. Im Tor der Magdeburger stand „Uli” Schulze. Und auch gegen Sachsenring blieb er Sieger, die Elbestädter gewann 5:2. Foto: Frank Kruczynski

Wann erwachte der Fußballer in Dir?
Ich war sechs oder sieben Jahre alt, als ich daheim im Harzort Darlingerode meinem Bruder Siegfried nacheiferte. Mit 13 ging es dann nach Halberstadt und an die Kinder- und Jugendsportschule. Fußball war seinerzeit aber Nebensache, ich war Zehnkämpfer, trainierte das ganze Leichtathletikprogramm. Doch ganz nach oben schaffte ich es hier nicht. So orientierte ich mich stärker auf Fußball, kam zum SC Leipzig, wo dringend Leute fürs Tor gesucht wurden. „Ich stell mich mal rein”, rief ich mutig und durfte gleich im Pokalspiel gegen den Stadtnachbarn Chemie ran. Ab 1966 hielt ich im Oberligakader des Vereins, der inzwischen 1. FC Lok hieß. Trainer Walter Fritzsch wollte mich in der folgenden Saison zu Stahl Riesa holen, ich aber folgte dann doch dem Rat von Manfred Zapf, mit dem ich schon als Kind zusammen gespielt hatte, und wechselte zum 1. FC Magdeburg. Parallel zum Fußball erwarb ich das Sportlehrerdiplom und den Trainerschein. Für den FCM bestritt ich 138 Oberligaeinsätze, wurde mit dem Team 1974 Europapokalsieger, dreimal DDRMeister und 1973 FDGB-Pokalsieger. 1977 wollte man mich nicht mehr, darum zog es mich zum Zweitligisten Stahl Blankenburg, wo man mir zudem eine Perspektive als Berufsschullehrer bot. Im ersten Jahr war ich wegen meines selbst gewählten Vereinswechsels als Fußballer jedoch gesperrt, deshalb spielte ich in Blankenburg zunächst Handball, danach bis 1982 in der DDR-Liga wieder Fußball.


Ulrich Schulze als Torwart beim 1. FC Magdeburg (links) und so, wie man ihn danach als Wismut-Trainer kannte – hier im am 24. April 1989 mit 1:0 gegen den FC Karl-Marx-Stadt gewonnen Oberligaderby in Aue. Fotos: Archiv Schulze, Frank Kruczynski

Wie kamst Du 1988 nach Aue?
Nach meiner Spielerlaufbahn war ich von 1982 bis 1985 Jugendtrainer bei der BSG Stahl Blankenburg, danach bis 1988 Trainer von Stahl Thale. Als Aufsteiger zur DDR-Liga-Staffel Süd verpassten wir knapp den Aufstieg zur Oberliga, als wir dem von Jürgen Croy trainierten Sachsenring Zwickau den Vortritt lassen mussten. Aber auch Thales sensationeller zweiter Platz, viele gute Spiele und die Entwicklung späterer Oberligaspieler wie Thomas Weiß, Heiko Weber – auch er war Jahre später Trainer in Aue – oder die Brüder Frank und Heiner Wiermann machten mich wohl zu einem interessanten Trainerkandidaten für die Oberliga. Es folgte 1988 der logische Schritt zur BSG Wismut Aue. Als Spieler bei Lok Leipzig und dem 1. FCM hatte ich die heiße Atmosphäre im Lößnitztal erlebt, darauf freute ich mich. Das Angebot kam über meinen ehemaligen Kapitän, den damaligen DFV-Generalsekretär Manfred Zapf zustande. Ich traf mich mit dem Sektionsleiter Fußball Werner Lorenz in Halle und wir wurden uns sofort einig. Co-Trainer Jürgen Escher und die Spieler nahmen mich herzlich auf und wir führten eine ordentliche Vorbereitung auf die Saison 1988/89 durch.

Erinnerst Du Dich ans erste Spiel damals?
Na und ob! Zum Auftakt ging es am 13. August ausgerechnet gegen den Erzrivalen nach Zwickau. Da ich im Jahr zuvor mit Thale zwei Spiele gegen Sachsenring in der DDR-Liga absoviert hatte, kannte ich das Spiel dieses Gegners ziemlich genau und das verhalf uns auch zum 2:1-Sieg. Die zweite Halbzeit erlebte ich freilich vom Tunnel aus, denn Schiedsrichter Klaus Peschel erteilte mir kurz vor der Halbzeitpause einen Platzverweis. Da ich bis heute ein aktiver Trainer an der Außenlinie bin und mein Team immer anfeuere, war ich dem Linienrichter wohl etwas zu laut. Deshalb musste ich gehen, allerdings ohne eine folgende Strafe.

Denkwürdig für Dich bleibt wegen einer hochdramatischen Schlussphase auch das FDGB-Pokal-Halbfinale vom März 1989 gegen den anderen Bezirksrivalen? Der FC Karl-Marx-Stadt gewann unter Trainer Hans Meyer mit 2:1 im Lößnitztal.
Natürlich, und über dieses Pokalaus ärgere ich mich noch heute, und zwar über mich selbst. Libero Volker Schmidt hatte drei Wochen an einer Muskelverletzung laboriert und ich musste entscheiden, ob er nach drei Tagen Training zum Einsatz kommen sollte. Ich entschied mich dafür, Andreas Langer, der Volker gut ersetzt hatte, auf dieser Position zu belassen und scheute das Risiko, Schmidt schon zu bringen. Das Spiel gegen den FCK zeigte dann, dass uns Andreas mit seinen klugen Pässen beim Konterspiel im Mittelfeld besonders fehlte. Im Rückblick vielleicht ein entscheidender Faktor für das Ausscheiden und die entgangene Pokalfinalteilname.

Im Sommer ’89 reiste Wismut im IF-Cup zu Örgryte IF nach Göteborg. Bitterer als die 0:2-Niederlage dort war, dass unmittelbar vor der Partie mit Thomas Weiß, André Köhler und Jens König drei Leistungsträger die Mannschaft gen Westen verlassen hatten. Und drei Tage später stand schon das nächste Gruppenspiel bei Rapid Bukarest an. Wie seid Ihr mit der Situation umgegangen?

Es war der 12. Juli. Nach der Mittagsruhe wollte ich ab 16 Uhr die Spielvorbereitung machen. Das Trio war nicht erschienen und trotz Suche im Hotel nicht aufzufinden. Wir ahnten schon, dass etwas nicht stimmte und der Verdacht erhärtete sich. Die Mannschaft stand unter Schock, jeder war in sich gekehrt und kaum aufnahmefähig. Trotzdem galt es, das Spiel durchzuführen und das Team hat dies mit großem Anstand und Einsatz hinter sich gebracht. Als nachts das Telefon klingelte und mich und meinen Co- Trainer Jürgen Escher aus dem Halbschlaf riss, meldeten sich die drei, entschuldigten sich für ihr Verhalten gegenüber dem Team und besonders mir, weil sie ja wussten, dass ich auf alle drei Spieler für Wismuts Zukunft gebaut hatte.

Es folgte eine sportlich schwierige Phase. In der ersten Halbserie 1989/90 wurden bei acht Toren in der Meisterschaft lediglich 7:19 Punkte geholt, nur gegen den FC Rot-Weiß Erfurt gelang ein Sieg.
Trotz der Verpflichtung von André Barylla, Matthias Jack und das Hochziehen von Thomas Pfüller aus der 2. Mannschaft konnten wir den Verlust der drei Spieler nicht kompensieren. Hinzu kam die Formschwäche von Steffen Krauß, später verloren Andreas Langer und sogar Torwart Jörg Weißflog ihre Leistungskonstanz. So war die Herbstsaison, die einherging mit den Wendeerscheinungen, letztlich katastrophal. Nach der sehr schlechten Hinrunde sah ich mich außerstande, das Ruder noch herumzureißen, deshalb übergab ich das Amt des Cheftrainers an meinen Co. Jürgen Escher. Ich wurde als Sportlicher Leiter eingesetzt. Nachdem Herr Meindl von der SDAG Wismut – sie war damals unser Hauptgeldgeber – und ich Thomas Weiß und André Köhler für 200.000 D-Mark an Eintracht Frankfurt verkauft hatten, wollte ich das Geld für die Verpflichtung von Spielern einsetzen, um den Klassenerhalt doch noch zu schaffen. Da erklärte mir Herr Meindl lapidar, ob ich nicht wüsste, dass wir eine Wismut AG seien und die Hälfte des Geldes den Russen gehöre. So lieferte er das Geld persönlich in der Zentrale der Wismut ab. Ich sah nach dem Verkauf der Spieler und den Begleitumständen keine Perspektive mehr und verabschiedete mich am 1. März 1990 von Wismut Aue. Die Spiele des FC Erzgebirge und die weitere Entwicklung aber verfolge ich noch heute mit großem Interesse. Das neue Stadion und das grandiose Engagement der Gebrüder Leonhardt werden auch in Zukunft der Garant für guten Fußball im Lößnitztal sein. Ich bin stolz, dort einmal gewirkt zu haben.

Hast Du noch Kontakt nach Aue?
Erst über Silvester war ich wieder bei Euch unten, habe mit meiner Frau Marlies im Hotel Osterlamm in Waschleithe gefeiert. Wir sind gerne da, schließlich hatten wir 1988 im Lößnitzer Rathaus geheiratet und die jüngste unserer drei Töchter ist im Erzgebirge geboren. Und zu ein paar alten Kollegen, wie Werner Lorenz und Jürgen Escher, habe ich noch einen Draht.

Wie verlief Deine Entwicklung nach der Auer Zeit?
Es gab zunächst ein Angebot der Spielvereinigung Bayreuth, als das nicht zustande kam, übernahm ich die Ligamannschaft von Post Neubrandenburg. Ich hatte gleich nach meinem Weggang aus dem Erzgebirge ein paar Tage in Mecklenburg Urlaub gemacht und wurde gefragt, ob ich den abstiegsbedrohten Verein trainieren könne. Am Ende wurde der Klassenerhalt geschafft. In der Folge trainierte ich unter anderem SD Croatia Berlin, Lokomotive Stendal und die TS G Neustrelitz. Ab 1999 arbeitete ich als Lehrer für Mathe und Sport an der Berufsschule in Waren/Müritz, parallel trainierte ich sechs Jahre lang den Verbandsligisten SV Waren 09. Ferner war ich nebenbei eine Zeitlang Torwarttrainer beim 1. FC Magdeburg und bei Sachsen Leipzig. Ein albanischer Spieler brachte mich auf die Idee, in seine Heimat zu gehen. Das reizte mich und so wurde ich 2006/07 Trainer des Erstligisten Vllaznia Shkodra. Auch heute, sozusagen im Ruhestand, gebe ich Erfahrungen an den Fußballnachwuchs weiter.


„Uli” Schulze mit Talenten der Audi Schanzer Fußballschule. Rechts der einstige Klassetorwart bei der Nachwuchsausbildung gemeinsam mit Trainerkollege Heinz Werner im chinesischen Guangdong. Werner hatte zwischen 1970 und 1988 die Oberligateams Hansa Rostock, Union Berlin, Stahl Brandenburg und FC Karl-Marx-Stadt betreut. Fotos: Archiv Schulze

Wo bist Du da am Ball?
Einmal in der Audi Schanzer Fußballschule, der größten ihrer Art im deutschen Vereinsfußball. Dabei werden an Standorten überall in der Republik Kinder jeweils eine Woche lang professionell trainiert. Allein 2017 habe ich dabei über 1.000 Mädchen und Jungen in verschiedenen Vereinen in Ostdeutschland mit ausgebildet. Außerdem bin ich, häufig zusammen mit meinem Trainerkollegen Heinz Werner, in China. 2015/16 hatte ich die U-17-Mannschaft des Guangdong-Fußballklubs in der Nachwuchs-Superliga des Landes betreut. Seit diesem Januar nun bin ich für das Football College in Qinhuangdao, etwa 350 Kilometer nordwestlich von Peking, tätig. Meine Aufgabe ist, an chinesischen Fußballschulen 14-jährige Talente zu sichten, die dann drei Jahre an dem College ausgebildet werden, die Besten sollen mal den Kern des Nationalkaders der Volksrepublik bilden.