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Von Zentra Wismut zum Meister der Republik

Eine Reportage über die Entwicklung eines neuen Industriegebiets und den Weg seiner Fußballer / von Götz Hering aus dem Jahr 1957.

Der Kampf hat aufgehört

Wie auf einen Befehl haben die Maschinen aufgehört zu lärmen. Die Arbeitszeit ist noch längst nicht zu Ende, aber die Arbeiter verlassen ihre Werkstätten. Draußen stehen einige, tragen Schilder „Hier wird gestreikt“. Nun, Herr Unternehmer, was wollen Sie jetzt tun? Die Arbeiter in Aue wissen zu kämpfen!
Für einen Augenblick hat der alte Wismutkumpel die Werkstücke liegengelassen, die er gerade in einen der Hunde warf. Er hat die Weimarer Zeit, als organisierter Arbeiter und als Arbeitersportler miterlebt. In Aue bestand schon damals eine weitverbreitete Industrie. Die dort Arbeitenden eroberten sich im Stadtverordnetenhaus die Mehrheit. Vierzehn Kommunisten und Sozialdemokraten standen nur dreizehn Rechte gegenüber. Es gab also auch schon damals Abgeordnete, die eine Zeitlang in der Lage waren, durchzusetzen, dass der Sport in Aue aufblühte. Über ein halbes Dutzend Vereine achten das sportliche Leben an. Allen voran, die Rote Sporteinheit. Und wenn die Unternehmer sich 'dareinmischen wollten, dann wurde eben die Arbeit niedergelegt. Doch wenn man etwas weiter in die Umgegend schaute, dort, wo zumeist Heimarbeit die Menschen kärglich ernährte, da sah es schon trüber aus. 

In den Blickpunkt gerückt


Sie erkennen ihn bestimmt wieder: Es ist Wismutstürmer Kurt Viertel, der hier im Revier seines Wismutschachtes mit den Kumpeln einhergeht.

Ja, das war damals. So stolz der Kumpel über die Erfolge, die man zu jener Zeit errang, berichtet, so stolz kann er nun sein, dass heute hier keiner mehr gegen Unternehmer zu kämpfen braucht, dass nicht nur die in Aue, sondern auch die in der Umgegend, alle sorgenlos dem Sport nachgehen können.
In der Schule zeichnet der Lehrer einen Kreis an die Tafel. Schon die Kinder lernen heute, was ein Atom ist. Sie stellen sich anfangs darunter so etwas wie eine Kugel, wie einen Fußball im Kleinen vor. In Aue können einem die Kinder sogar schon mehr erzählen. Sie wissen bereits, wie man jenes Erz gewinnt, das für die Menschheit die Zukunft bedeutet. 250 Meter saust der Förderkorb, acht Meter in der Sekunde, in die Tiefe. Keine Bange, es ist nicht so warm dort unten, wie man es sich vorstellt. Klimaanlagen regulieren die Temperatur. Wer dennoch Durst bekommt. kann sich dort am fliegenden HO-Stand erst einmal erfrischen — und dann geht es weiter, nochmals einige hundert Meter in die Tiefe. Dort befinden sich jene kostbaren Adern des Uranerzes. die der Wismutkumpel aufspürt und in schwerer Arbeit ans Tageslicht fördert.
Da habe ich so einen schwarzen Klumpen in der Hand. Nicht ganz leicht ist er. schließlich trägt dieses Uran das Atomgewicht 235. Nun, das wird manchem nicht viel sagen. Es ist jedoch unentbehrlich für die Arbeit des Reaktors. der nahe Dresden in unserem zukünftigen Atomzentrum aufgestellt wird, In gar nicht so ferner Zukunft, 1966, wird dieses Uran: das erste Atomkraftwerk der DDR heizen! Hieran mag man ermessen. welch unschätzbaren Wert die Arbeit unserer Wismut Kumpel besitzt. Sie helfen mit, durch ihre Arbeit dem sozialistischen Lager den Weltfrieden zu sichern und ermöglichen die Auswertung der Atomenergie für friedliche Zwecke.

Ja, die Arbeiter des Wismut Gebietes fördern einen großen Reichtum. Sie tun das mit hohem Arbeitsenthusiasmus. Es gibt aber auch eine Regel in unserem Staat, da nämlich derjenige. der der Gesellschaft viel gibt, auch viel von ihr bekommt. Unsere Wismutkumpel erhalten deshalb einen groBen Anteil von jenem von ihnen geförderten Reichtum

Was macht man mit dem Reichtum?


In einer Ecke des alten Wirtshauses sitzt ein Fleischermeister: und schaut bärbeißig drein. "Man sollte den Arbeitern nicht so viel Geld in die Hand geben", meint er, "was fangen die schon damit an. Sie betrinken sich; machen Radau; und dann wird am Ende auch noch der Fußballplatz gesperrt."
Komm alter Sportfreund, willst du nicht sehen, was um dich herum geschieht? Hat diese Ingenieurschule, auf der sich unsere Jungen weiterbilden, früher bestanden? Nein, sie ist ganz neu. Haben sich früher von fünfzehn Fußballern zehn auf die Schulbank gesetzt, um einen Meisterlehrgang für Bergbaumaschinen zu bestehen? Aber komm weiter. Hier unten, in die Berge eingebettet, liegt das Stadion, das jedem Kind ein Begriff ist, weißt du; dass es mit bewundernswertem Eifer der Sportler, der Wismutkumpel und vor allem auch der sowjetischen Armee in zwölf Wochen buchstäblich aus dem Boden gestampft wurde?
Sieh nach links, dort zwischen den schönen Anlagen ist ein Schwimmbad und hinter uns erst vor geringer Zeit ein Sportlerheim entstanden. Der Cheftrainer des SC Wismut Karl-Marx-Stadt hat es mir gezeigt. Vom Klubraum mit dem Fernsehempfänger bis zur Unterwassermassageanlage ist dort alles vorhanden. Es wurde bereits zur zweiten Heimat aller Spieler. 
Wenn wir nun aber den Blick nach links lenken, dort oben hin auf den Zellerberg, dann sehen wir einen ganz neuen Stadtteil. Schon vor Jahren wurde damit begonnen und immer noch wird ununterbrochen gebaut. Die Fernsehantennen auf jedem Haus sprechen ihre eigene Sprache über das kulturelle Bedürfnis der dort wohnenden Menschen, und die Kulturhäuser in Niederschlema, in Karl-Marx-Stadt und bald auch in Aue tun es nicht minder.
Falls. dir aber auch die Entwicklung der Fußballer des SC Wismut entgangen sein sollte, was hast du, da alles versäumt! Nein, Herr Fleischermeister, es hat keinen Zweck, sich darüber zu ärgern; dass kein Fußballer mehr an Ihren Tisch kommt — und das ist doch Ihr Ärger — um sich geistige Getränke einflößen zu lassen. Die Zeiten sind vorbei. Unsere Kumpel, unsere Fußballer wissen sehr gut ihren Reichtum anzuwenden, so wie es ein Mensch tut, der sein Ziel in der Weiterentwicklung, in der Zukunft sieht.

Arbeit und Kultur formten die Menschen

„Welch prächtige Menschen haben wir doch heute!“ Der Personalleiter des Schachtes muss es ja am besten wissen. Gemeinsam gehen wir mit dem technischen Leiter für Erzkontrolle durch die Schachtanlagen, um die Spieler Glaser und Günther bei ihrer Arbeit in der Schlosserei aufzusuchen: „Man stelle sich nur vor, wohin man auch schaut, über alle greift die Grippe um sich, und gerade jetzt hat die Produktion einen Höchststand erzielt“, erklärt er. Die Verhältnisse und die Menschen sind eben anders geworden. Doch der Weg bis hierher, auch der Weg der Fußballer bis zur Meistermannschaft unserer Republik war oft schwierig, und anfangs schienen einem die Sorgen über den Kopf zu wachsen.
„Was war denn 1945 schon da? Ein paar alte “Schächte“ aus dem Silber- und Kobaltbergbau, die keiner mehr für etwas nütze hielt. Erst sowjetische -Geologen und Ingenieure stellten fest, welche Werte im Erzgebirge unter der Erde ruhen. Um Sie zu nützen, um neue Schächte zu teufen, brauchte man Menschen über Menschen. Wer wollte sie in jener Zeit nach, Charakter und Qualität aussuchen? Es waren eine ganze Anzahl dunkler Elemente unter all denen, die von nah und fern nach Aue strömten. In primitiven, Baracken hausten sie; unter ebenso primitiven Verhältnissen wurde in den ersten Schächten das Erz gefördert. Da dachte man noch nicht: an mechanisierte und heute schon, fast automatisierte Schachtanlagen. Dennoch, der Ausleseprozess begann. Das Gute trennte sich von dem Schlechten und entwickelte sich zusehends weiter.
Es gibt heute keine dunklen Elemente mehr in Aue!  Kein Industriewerk in der DDR hat sich und seine Menschen so schnell und gut entwickelt wie das des Wismutgebiets. Dass es so kam, dafür gebührt der Pionierarbeit der Partei der Arbeiterklasse und den Freunden der sowjetischen Leitung höchste Anerkennung. 
Die sowjetische Verwaltung wusste sofort, was man tun muss, um charakterlich feste Menschen zu erziehen. Man musste  sie mit Kulturellen Dingen beschäftigen, man musste ihnen Kulturhäuser bauen, lichte Wohnungen geben und die sozialen Verhältnisse gut gestalten. So drängte man auch darauf, den Menschen sportliche Leistungen zu bieten. Damit war die BSG Zentra Wismut Aue aus der Taufe gehoben. 

Fußballer ringen um sich selbst

Wer abends in das Sportlerheim der Wismutfussballer kommt, trifft dort stets etliche Spieler an. Einige der jüngeren wohnen dort sogar. Da wird in einem Raum Billard gespielt oder Tischtennis, nebenan sieht man sich eine Fernsehsendung an und den. Glaser, den Wagner oder den Tröger, den können wir mitunter bei einer Skatrunde antreffen. Karl Wolf hat es heute eilig. Er möchte nach Hause. Als ich jedoch mit ihm auf die Vergangenheit des SC Wismut zu sprechen komme, ist er ganz Feuer und Flamme. Er weiß schon, worauf ich hinaus will. Ich habe eine Schwache, die mir schon manche Schwierigkeit bereitet hat. Manchmal geht mein Temperament mit mir durch, ich rege mich um der Gerechtigkeit willen auf und mische mich dabei in Angelegenheiten anderer ein, ohne dass ich es will. Aber in jeder Mannschaftssitzung wurde mir das unter die Nase gerieben, und so wie man über alle Dinge, die bei uns zu regeln sind, offen diskutiert, so hat man auch mir geholfen. Ich bin jetzt schon ein ganzes Stück weitergekommen.“
Ja, der Karl ist kein schlechter Kerl. Ganz im Gegenteil. Trainer Zergiebel sagt es völlig freimütig, dass gerade er im Training der Emsigste ist und dass er ebenso moralisch ein Leben führt, das allen jüngeren Spielern zum Vorbild gereicht. Die Aufgabe der Trainer ist überhaupt längst nicht mehr so schwer wie einst. Von der letzten Schülermannschaft bis hinauf zum Oberkollektiv helfen Mannschaftsaktive, die Disziplin zu verbessern und interne Angelegenheiten selbst zu regeln.
Auf dem Nebenplatz trainiert gerade Jugendtrainer Walter Maul seine 1. Juniorenelf. Da kommt einer, der schon mehrmals nicht triftige Entschuldigungen vorwies, wiederum mit einer Ausrede. Bevor der Trainer einen Ton sagen kann, tritt der Leiter des FDJ-Mannschaftsaktivs vor: ,,Du brauchst überhaupt nicht mehr zu kommen. Wir spielen auch ohne dich.“
So wird manches von den Mannschaftsaktiven selbst erarbeitet und beschlossen, so ringen die Kollektive aus eigenem Antrieb heraus darum, Schritt für Schritt weiterzukommen.
An der Wandtafel des Sportheimes entdeckte ich einen Aufruf. Das Mannschaftskollektiv der Oberliga hat beschlossen, zu Ehren des 40. Jahrestages der Oktoberrevolution einen Wettbewerb zu beginnen. Daneben hängt ein anderer Zettel. Den Strichen hinter den Spielernamen können wir entnehmen, dass bereits der größte Teil der Mannschaft  mitgearbeitet hat, die Grünanlagen vor dem Sportlerheim fertigzustellen, dass auch alle schon einige Disziplinen des Sportabzeichens erfüllt haben.

Ein Herz und eine Seele

Die gemeinsame Arbeit festigt das Kollektiv. Was aber verbindet es zur Bevölkerung? Ursprünglich waren ja alle aus den Dörfern, die Aue umgeben. Die ,Wolfe“ z.B. stammen aus Bernsbach. Man war ihnen dort lange Zeit sehr böse, dass sie in das fünf Kilometer entfernte Aue übersiedelten. Inzwischen aber ist die Wismut-Mannschaft von Aue längst zum Idol des gesamten Wismutgebietes geworden. Diese Spieler sind ja Fleisch von ihrem eigenen Fleische. Sie sind zumeist ebenso Kumpel; und dieser oder jener arbeitet sogar unter Tage. Somit ist die Verbindung zwischen Spielern und Bevölkerung außerordentlich eng, Sie helfen sich gegenseitig.
Die einen haben über viele Jahre hinweg an sich selbst und an ihren Leistungen gearbeitet, um den Kumpeln etwas zu ihrer Freude und Entspannung zu bieten. Das hat sich zweifelsohne auf die Produktion ausgewirkt. „Wenn unsere Elf gewinnt, dann ist das ebenso am Montag bei der Erzförderung zu verspüren, als wenn sie verliert“, meint der Leiter des Schachtes. 
Die Kumpel haben durch die kulturelle Förderung, dadurch, dass sie bald den Wert ihrer Arbeit für die Gesellschaft erkannten, sich selbst weitergebildet. Ihre Unterstützung im Stadion für die Mannschaft ist vielleicht nicht mehr so fanatisch. Aber Fanatismus ist ja kein erfreuliches Zeichen. Die Sachlichkeit der Zuschauer, auch ihre Kritik an den Spielern und ihre herzliche Anteilnahme am Wohl und Wehe der Mannschaft. so wie sie jetzt bestehen, hat viel größeren Wert.

Weiter in die Zukunft sehen 

Ein unfreundliches Wetter, wie so oft in den letzten Wochen, liegt auch heute über dem Stadion von Aue. Noch immer trainieren Jüngsten des SC Wismut auf dem Nebenplatz. Ausgezeichnete Talente sind schon unter ihnen. Die Zeit ist nahe, da der Aktivkern der Oberliga darüber beraten wird, wer von den Nachwuchsspielern einmal die Position der heutigen Stammspieler einnehmen wird. Denn man darf ja nicht stehen bleiben. Die Zukunft der Meistermannschaft muss gesichert sein. Die Wismutkumpel brauchen um diese Entwicklung auch gar nicht so bange zu sein. Immerhin sind aus den drei Schüler- und Jugendmannschaften inzwischen schon neun geworden;  und es könnten noch mehr sein. wenn man im Wismutgebiet nicht so wenig Konkurrenz besäße. Heute müssen schon Jugendmannschaften des Clubs in einer Staffel gegeneinander spielen. Das ist allerdings nicht in Ordnung und müsste an anderer diskutiert und geregelt werden.
Für wahr, es ist ein seltener Ruhm, wenn eine Mannschaft Meister der Republik sein kann , wenn sie in ihren Reihen so viele „Meister des Sports“ hat, so viele Spieler , die ihre Nation in Länderspielen schon würdig vertreten haben, wenn sie sich auf einen Torschützenkönig wie Willi Tröger stützen kann. Aber wir sehen, nichts kommt von allein. In einer Republik, deren Regierung dem Volke dient, die solche wirtschaftlichen Möglichkeiten entwickelt wie die DDR und den Erlös in großem Maße auch dem Sport zukommen lässt, ist solche Entwicklung jedoch nichts Zufälliges mehr. Nein, dort kann man sie erwarten.