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Vor 35 Jahren: Abstiegsdramatik am letzten Spieltag

Am 30. Mai 1981 pilgerte anscheinend das ganze Erzgebirge ins Otto-Grotewohl-Stadion, um den Veilchen, die sich am letzten Spieltag der Saison 1980/81 in größter Not befanden, beizustehen. Die Nerven der 18.000 Zuschauer und der Wismut- Akteure waren zum Zerreißen gespannt. Dabei schien fünf Wochen zuvor das Abstiegsgespenst schon aus dem Lößnitztal gejagt. Mit 4:1 lieferte man Ende April zu Hause gegen den HFC Chemie die beste Saisonleistung ab. Platz 12 mit 16 Punkten und damit vier Zählern Vorsprung auf Zwickau und Riesa, die auf den Abstiegsplätzen 13 und 14 rangierten, was sollte da noch schiefgehen? Ging es aber doch, weil Wismut die drei nächsten Spiele verlor. Der 2:3-Niederlage im Derby in Zwickau folgte eine 0:2-Pleite gegen Lokomotive Leipzig im heimischen Stadion, um am vorletzten Spieltag beim FCV in Frankfurt an der Oder gar mit 1:5 unterzugehen.
Aue stand vorm Finale zum zweiten Mal in der Saison auf einem Abstiegsplatz. Aus eigener Kraft war die Rettung nicht mehr möglich. Die Abstiegsfrage musste am letzten Spieltag gleich in vier Stadien geklärt werden. Stahl Riesa, mit 15 Punkten Letzter in der Tabelle, musste zum Vierten Dynamo Dresden, das noch mit dem dritten Platz liebäugelte und zu Hause ungeschlagen war. Aue, Chemie Böhlen und Sachsenring besaßen je 16 Punkte, wobei Wismut das schlechteste Torverhältnis von diesen drei Mannschaften hatte. Wismut-Trainer Manfred Fuchs, der die Mannschaft nach vier Saisons im Heimspiel gegen den 1. FC Magdeburg zum letzten Mal betreute, ließ keine Untergangsstimmung aufkommen: „Natürlich geben wir uns nicht auf. Allerdings können wir es nicht mehr aus eigener Kraft schaffen. Es wird zu Hause gegen Magdeburg sehr schwer, denn der FCM kämpft ja noch um eine Medaille.” Die Zwickauer dagegen, die vom 2. bis zum 24. Spieltag durchgehend auf einem Abstiegsplatz standen, hatten es in Rostock selbst in der Hand und Aufsteiger Böhlen ebenfalls. Denn sie hatten mit dem HFC Chemie eine Mannschaft zu Gast, die jenseits von Gut und Böse stand.
Zwickau und Böhlen brauchten gar nicht zu schauen, was Aue und Riesa veranstalteten. Zur Halbzeit Jubel in Aue und Rostock, denn Wismut und Sachsenring führten jeweils 1:0 und standen mit einem Punkt Vorsprung überm Strich. Enttäuschung dagegen schon in Böhlen im Stadion an der Jahnbaude; Trainer Hans Speth hatte nicht zu viel versprochen. Seine Schützlinge brannten gegen Halle bis zur 45. Minute ein sehenswertes Feuerwerk ab. So schlichen sie bedrückt, weil ohne Torerfolg, in die Kabine, wo die Nachricht von der Führung der Auer und Zwickauer für einen weiteren Dämpfer sorgte. Riesa hielt zur Pause immerhin ein beachtliches 1:1 in Dresden, war aber immer noch Letzter der Tabelle.
Als der Ball wieder rollte, schalteten, nicht nur in Aue viele Zuschauer ihr mitgebrachtes Transistorradio ein und lauschten der Konferenzschaltung von Radio DDR 1. Das war früher Alltag in den Oberliga-Stadien, denn Handys gab es ja 1981 noch nicht und eine Anzeigetafel, die die Zwischenstände der anderen Spiele anzeigte, gab es in Aue auch nicht. Mundpropaganda war also das A und O im Stadion. Klappte aber prima. Wer kein Radio hatte, drehte sich zu seinem Neben- oder Vordermann und erfragte den Zwischenstand. Die meistgestellte Frage in der zweiten Halbzeit in Aue lautete: Wie steht es in Böhlen?
Wismut ging im Spiel gegen Magdeburg bis an die Grenze der Leistungsfähigkeit, um das Unmögliche zu erreichen. Doch die Magdeburger, Bronze vor Augen, steckten keinen Pflock zurück. Zweimal Pfosten durch Mewes und Hoffmann in der vierten Minute zeigten die Absicht der Gäste deutlich. Erler (32.) und Süß (36.) vollbrachten bei weiteren Schüssen von Hoffmann Rettungstaten auf der Linie. Auch Steinbach knallte die Kugel an Pfosten (66.) und Latte (82). Zwar führte Aue nach 70 Minuten durch einen abgefälschten 22-Meter- Knaller von Erhard Süß (29.) und den Kopfballtreffer von Wolfgang Körner mit 2:0, doch nach dem Anschlusstor von Streich (75.) wollte jeder nur wissen, was auf den anderen Plätzen passierte. Zwickau führte 3:0 in Rostock und Stahl Riesa sensationell 2:1 in Dresden. Als der HFC in der 75. Minute durch Krostitz in Front ging und die frohe Kunde die Runde im Stadion machte, kroch der Minutenzeiger für die Auer Zuschauer und Spieler langsamer denn je. Ein FCM-Tor noch oder der Ausgleich für Böhlen und Aue wäre punktgleich mit den Rand-Leipzigern aufgrund des schlechteren Torverhältnisses abgestiegen. Wismut hielt dem Magdeburger Druck stand.
Nach dem Schlusspfiff in Böhlen war es Gewissheit: Erzgebirge ohne Oberliga, das gibt es nicht! Die Zuschauer hielt es nicht mehr auf ihren Plätzen, sie stürmten auf den Rasen. In Böhlen dagegen herrschte grenzenlose Trauer. Nicht zu fassen, die ganze Saison über stand man nicht einmal auf einem Abstiegsplatz und am Schlusstag erwischte es Chemie doch. Die Böhlener blieben aber in den letzten elf Spielen ohne Sieg. In Aue freilich brach ein langer Abend an. In den Gaststätten des Erzgebirges wurde gefeiert. Auch nach dreißig Jahren Oberligazugehörigkeit sollte es weiterhin „Glück auf, der Steiger kommt” schallen. (Burg) Foto: Stadtarchiv Aue