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Vorgestellt: Wismut-Mittelfeldspieler Erhard Süß - „Du hast einen guten Schuss, probier’ es!”

Zwischen 1981 und 1985 bestritt Mittelfeldspieler Erhard Süß 75 Spiele für die Veilchen in der Oberliga (65), im FDGB-Pokal (6) sowie im Intertoto-Cup (4). Sein wohl wichtigster Treffer war zugleich sein erstes Punktspieltor für die Auer. Am 30. Mai 1981 erzielte es der Youngster im Abstiegskrimi gegen den 1. FC Magdeburg – das 1:0 nach 29 Minuten. Mit dem 2:1-Heimsieg sicherten sich die Veilchen damals am letzten Spieltag den Klassenerhalt.


Erhard Süß verhindert kurz vor der Torlinie einen FCK-Treffer. Am Ende gewinnen die Veilchen das erste Oberliga-Punktspiel der Saison gegen den FC Karl-Marx-Stadt am 18. August 1984 auf der „Fischerwiese” mit 2:1.  

Heute wohnt Erhard mit seiner Familie in einem schmucken Eigenheim in Schwarzbach, das zur Kleinstadt Elterlein gehört. In Elterlein wuchs der am 12. November 1958 geborene Erzgebirger auf. „Mein Vater Karl spielte im hiesigen Verein Fußball und wir Kinder bolzten auf dem Waldplatz, sobald die Schule aus war. Zwei Holzbalken bildeten das Tor, ein Netz gab es nicht ”, erinnert er sich. Erst mit zwölf Jahren begann er bei Motor Elterlein zu trainieren, war Mittelfeldspieler oder Libero. Wie Eltern und Freunde fieberte er mit der Auer-Wismut-Mannschaft, doch weil die Familie kein Auto besaß, musste er hoffen, dass ein Nachbar zum Spiel ins Lößnitztal fuhr und einen Platz im Trabi frei hatte. „Gekannt habe ich jeden Auer Fußballer, konnte meine Idole aber ganz selten sehen. Im Fernsehen wurden seinerzeit nur wenige Begegnungen übertragen, da blieb meist bloß die Radiokonferenz.”

Ein glücklicher Zufall half eines schönen Wintertags, dass Erhard zum Auer Nachwuchs fand. „Die Elterleiner Jugendmannschaft bestritt ein Freundschaftsspiel in Grünhain, es lag Schnee und wir verloren hoch, 7:15 glaub’ ich. Ich muss aber vier oder fünf der Elterleiner Treffer gemacht haben. Jedenfalls schaute der Auer Junioren-Oberligatrainer Armin Günther zu, nahm Kontakt zu meinem Verein auf und hat mich dann auch die ganze Zeit über in Aue begleitet.” Im Mai 1974 kam Erhard zum Wismut-Nachwuchs, eilig machte er noch den Moped-Schein, weil von Elterlein kein Bus zu Training oder Spiel nach Aue fuhr. „Ich weiß noch, wie ich im Winter einige Male das Moped weite Strecken durch den Schnee schob. Als junger B-Junior musste ich mich im älteren Jahrgang durchsetzen. Schwer war das und ich habe es damals nicht recht verstanden, doch später wusste ich, dass mich das weitergebracht hat”, erzählt der heutige Lehrer für Sport, Englisch und WTH an der Oberschule in Scheibenberg. Süß erwischte einen Einstand nach Maß, bei einem B-Jugend-Turnier in Chomutov wurde er bester Torschütze. Bald danach durfte das Talent – in der Zeit der Fußball-WM 1974 – mit den Auern an einem internationalen Turnier in Prag teilnehmen.


Die Auer Wismut-Mannschaft vor Beginn des Oberligaspiels am 27. Februar 1982 im Otto-Grotewohl-Stadion, von rechts: Frank Stein, Erhard Süß, Ralf Kraft, Jürgen Köberlein, Harald Mothes, Holger Erler, Thomas Teubner, Wolfgang Körner, Volker Schmidt, Torwart Ulrich Ebert und Jürgen Escher. Die Begegnung endete 1:1. Foto: Frank Kruczynski

Bei der SDAG Wismut lernte Erhard Instandhaltungsmechaniker mit Abitur. Zwar wohnte er nun im Internat in Schlema und die ewigen Fahrten aus Elterlein fielen weg, dafür lag die Lehrwerkstatt untertage. 4.40 Uhr früh begann sein Tag, 14 Uhr war Schichtschluss und 15.30 Uhr folgte das harte Training. An den Wochenenden spielte die Juniorenoberliga, ehe die „große Oberliga” dran war. „Eine feine Sache. Wir reisten durch die Republik, hatten engen Kontakt zu den Spielern der ersten Mannschaft und konnten uns vor Publikum zeigen. Vor allem in der zweiten Halbzeit waren die Ränge bereits gut gefüllt und wir durften uns beizeiten an die heiße Stimmung in den Stadien gewöhnen”, erzählt er. Dass die Aue-Junioren gegen die Altersgefährten der Sportklubs häufig alt aussehen, warf sie nicht um, zu ungleich waren die Rahmenbedingungen in den Trainingszentren. Ihr Ehrgeiz aber verlangte, beste BSG bei den Junioren zu sein, also Platz zehn zu schaffen. Als die Wismuter einmal sogar auf Rang sieben einkamen, galt das als kleine Sensation. Mit dem 1. FC Magdeburg, BFC Dynamo, FC Rot-Weiß Erfurt und dem HFC Chemie ließen die Veilchen in jener Saison 1974/75 gleich vier Clubs hinter sich. Harald Mothes schoss damals zwölf Tore für die Auer Junioren.

Mit Siebzehn zog sich der Mittelfeldspieler im Training eine Wirbelsäulenfraktur zu, ein halbes Jahr war Erhard krank. Ob er würde weiter Fußball spielen können? „Ich war kurz vorm Rollstuhl, hatte aber sehr, sehr gute Ärzte. Ohne Dr. Mann, Dr. Winkler und Dr. Mehlhorn sowie Konditionstrainer Eberhard Riedel – als Abfahrtsläufer eine Legende in der DDR – hätte ich es nicht geschafft. Ein Dreivierteljahr nach dem Unfall lief ich in der Juniorenoberliga zum ersten Mal wieder auf, gegen Dynamo Dresden. Was war ich da glücklich!”

Als 19-Jähriger durfte das Talent die erste Mannschaft zu einem Turnier nach Sofia begleiten. Trainer Manfred Fuchs signalisierte damit, dass er mit ihm plant, denn unmittelbar danach musste Erhard anderthalb Jahre zur Armee. „Seitens der NVA wurde ich gedrängt, drei Jahre zu dienen. Ich könne die ganze Zeit bei Vorwärts Dessau Fußball spielen statt im Schlamm zu robben. Doch ich lehnte ab, zumal ich sicher war, dass man in Aue auf mich zählt”, schaut Süß zurück und hatte dann bei der „Asche” trotzdem Glück: „Ein Oberstleutnant bemühte sich sehr, dass ich in der örtlichen Fußballmannschaft mittrainieren und dann auch spielen dürfe. Mit der VSG Bad Frankenhausen in die Bezirksliga aufzusteigen war ein schöner Erfolg.”


Szene aus dem Oberligaspiel zwischen der BSG Wismut Aue und der BSG Stahl Riesa am 11. April 1981, das die Lila-Weißen zu Hause mit 2:3 verloren. Im Bild steigt Erhard Süß zum Kopfball hoch; vorn steht Thomas Teubner, hinten rechts Wolfgang Körner. Foto: Frank Kruczynski

Im Mai 1980 kehrte Erhard zurück zur BSG Wismut Aue, spielte bis Weihnachten in der Nachwuchsoberliga und gehörte anschließend zum Kollektiv der ersten Mannschaft. Acht Spieltage vor Saisonende bestritt der junge Mann sein erstes Oberliga-Punktspiel, das mit 1:5 verlorenging, gleich über volle neunzig Minuten. Sieben Spiele weiter kam der international erfolgreiche 1. FC Magdeburg ins Grotewohlstadion. „Wir hatten zuvor gegen Riesa und Frankfurt/Oder verloren und konnten den Klassenerhalt nicht aus eigener Kraft schaffen. Doch wir gewannen 2:1 gegen die Magdeburger und gleichzeitig verlor Chemie Böhlen, damit erfüllte sich auch für mich der Traum von der Oberliga um eine weiter Saison”, umreißt Süß die damalige Lage. Die Abstiegsfrage musste am letzten Spieltag gleich in vier Stadien geklärt werden. Stahl Riesa, mit 15 Punkten Tabellenletzter, war Gast beim Vierten Dynamo Dresden, das noch mit Platz drei liebäugelte und zu Hause ungeschlagen war. Wismut Aue, Chemie Böhlen und Sachsenring hatten jeweils 16 Punkte, wobei Wismut mit minus 27 das schlechteste Torverhältnis von allen drei Mannschaften besaß. Gewännen alle drei, müsste Aue erst einen Sechs-Tore-Rückstand auf Zwickau und fünf Treffer gegen Böhlen wettmachen. Trainer Manfred Fuchs, der die Wismut-Elf nach vier Spielzeiten gegen den 1. FCM zum letzten Mal betreute, ließ keine Untergangsstimmung aufkommen: „Natürlich geben wir uns nicht auf. Es wird zu Hause gegen die Magdeburger sehr schwer, denn der FCM kämpft ja noch um eine Medaille.” Die Bördestädter hatten damals in der Oberliga mit 57 Toren immerhin den zweitbesten Angriff.

„Am Donnerstag vor dem Magdeburg-Spiel holte mich der Trainer hoch ins Trainerzimmer”, erzählt Erhard Süß. „Pass auf, ich sage es dir heute schon, du wirst am Samstag von Anfang an spielen. In Frankfurt warst du noch mit unser Bester. Du spielst links, egal wer gegen dich kommt. Die werden dann wissen, wer der Herr Süß aus dem Erzgebirge ist”, gibt er die Worte von Manfred Fuchs wider. „Und er sagte noch: ,Du musst auch ruhig mal aus 20 Meter schießen, denn du hast einen guten Schuss. Probier’ es!’” Warum Fuchs ausgerechnet auf den Jungspund aus Elterlein setzte, weiß Süß bis heute nicht. „Für mich war es natürlich toll. Es war aber schon ein Risiko, mich einzusetzen mit gerade mal vier Spielen zuvor in der ersten Mannschaft, weil doch eigentlich gestandene Spieler da waren.” Jedenfalls beherzigte der 22-Jährige Fuchs’ Worte und erzielte beim Auer 2:1-Sieg nach 29. Minuten das 1:0. Es war sein erstes Oberligator überhaupt. Etwas später kratzte Süß den Ball noch von der eigenen Torlinie. In der 70. Minute erhöhte Wolfgang Körner auf 2:0, Joachim Streich konnte in der 75. nur verkürzen.


Links: Vorstellung des jungen Mittelfeldspielers im Programmheft zum Heimspiel gegen den 1. FC Magdeburg am 26. September 1981 (2:2). In der vorangegangenen Begegnung gegen die Elbestädter, im Abstiegskrimi der Saison 1980/81, gewannen die Erzgebirger am 30. Mai 1981 mit 2:1; das erste Tor hatte Erhard Süß erzielt. Rechts: Autogrammbild aus Erhard Süß’ Oberligazeit. Quelle: Archiv Burg

In der folgenden Saison übernahm Hans-Ulrich Thomale die Traineraufgabe in Aue. „In seiner Zeit hatten wir nichts mehr mit dem Abstieg zu tun, wir durften uns sogar im UI-Cup und, nach dem sensationellen vierten Platz in der Oberliga, im UEFA-Cup behaupten. Neben dem sportlichen Erfolg bleiben für mich die unvergesslichen Reiseerlebnisse”, sagt Süß und denkt an Lilleström, Aarhus, Braunschweig, Prag, Ostrava… Mit „Uli” Ebert sei er abends mal in einer Disko in Norwegen gewesen, sie hätten sich ein Bier geteilt, weil das so teuer war. Hat er mal daran gedacht, die DDR zu verlassen? „Nein, wusste ich doch, was meine Familie für Konsequenzen hätte erleiden müssen. Und es ist auch nicht dick aufgetragen, wenn ich sage, für mich gab es nur Lila-Weiß. Aue war das Beste, was mir passieren konnte. Es hat mich charakterlich geprägt.” Da klingt auch Dankbarkeit an, denn der Junge ohne Jugendweihe hätte in der DDR sonst kaum an eine Hochschule gedurft, als Wismut-Fußballer aber konnte er ein Sportstudium an der Außenstelle Chemnitz der DHfK absolvieren.

Unter den 65 Oberligaspielen bleiben etliche präsent. So die Sachsenderbys gegen Dresden, Zwickau oder den FC Karl-Marx-Stadt. „Gegen den FCK lagen wir in Aue bei Halbzeit mal 0:2 hinten und hatten Bammel vor der Pausenansprache des Trainers. Aber ,Ulli’ Thomale sprach ganz ruhig. So dürften wir uns den Leuten im eigenen Stadion nicht präsentieren. Wir hätten noch eine Dreiviertelstunde Zeit, wenigstens für ein Unentschieden… Am Ende gewannen wir 3:2.” In der Serie 1984/85 traf Süß in Magdeburg schon nach drei Minuten, am Schluss schafften die Veilchen ein 2:2 beim Favoriten. Gegen Hansa Rostock verwandelte er in derselben Saison einen Freistoß zum 2:0 (Endstand 3:1), steuerte beim 2:1-Auswärtssieg in Riesa ein Tor bei und erzielte den Siegtreffer zum 1:0-Pokalerfolg bei Post Neubrandenburg.

Verletzungen machten Erhard zu schaffen, immer aufs Neue musste er sich zurückkämpfen. Im UI-Cup-Spiel gegen Viking Stavanger bekam er einen Schlag auf beide Achillessehen, eine Operation war zu riskant. Darum beendete der Mittelfeldspieler seine Laufbahn zeitig.

Seit 1987 arbeitet Erhard Süß als Lehrer: für Sport, Englisch und Wirtschaft/Technik/Hauswirtschaft (WTH). Sohn Carsten spielte wie er Fußball in Elterlein. Obwohl, bei den Alten Herren bleibt auch Erhard hier noch am Ball. Radfahren und mehr noch die beiden Enkel, vier und knapp zwei Jahre alt, halten ihn fit. Ein Schmuckkästchen sei das neue Erzgebirgsstadion, die Atmosphäre wunderbar. „Der Kontakt zu den früheren Mitspielern war nach meiner Verletzung etwas abgerissen, aber ich habe natürlich immer verfolgt, wie sich Wismut und nun der FC Erzgebirge behaupten. In letzter Zeit fahre ich auch wieder regelmäßig nach Aue”, meint der 63-Jährige und fragt, wann der Text hier denn im Veilchenecho stehe. „Gegen Darmstadt? Da werde ich auf jeden Fall live im Lößnitztal sein. Mir gefällt, wie sich unsere Mannschaft in den letzten Spielen präsentiert und steigert. Wenn es gegen den Abstieg geht, wird jeder Zuschauer gebraucht.”

Text: Olaf Seifert