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Vorgestellt: Wismut-Stürmer Harald Mothes „Ulli Thomale hat mich stark gemacht”

Neben dem Besuch der Eltern und von guten Freunden gehört immer auch eine Stippvisite beim Schelli-Bäck dazu, wenn Harald Mothes aus seinem Wohnort Ampfing ins Erzgebirge reist. Letzte Woche bot sich für die Veilchenecho- Redakteure Bernd Friedrich und Olaf Seifert die Gelegenheit, den besten Wismut-Stürmer der Achtzigerjahre dort zu treffen.

„Harald Mothes wohnte wie etliche andere Aue-Kicker oder auch Trainer ,Ulli’ Thomale in einem Elfgeschosser auf dem Eichert. Wenn sie bei uns Brot, Brötchen und Kuchen kauften, wurde im Laden immer über Fußball diskutiert. Familie Mothes und wir freundeten uns schnell an, zumal unsere Kinder beste Kumpels waren”, erinnert sich Bäckermeister Falk Schellenberger und freut sich, dass der Kontakt auch nach 1990, als die Freunde der Arbeit wegen nach Oberbayern zogen, hielt. „Runde Geburtstage werden gemeinsam gefeiert, jedes Jahr gehen Stollen auf die Reise und fahren wir in den Süden, vergessen wir nie, in Ampfing zu klingeln. Auch zu Spielen der deutschen Nationalelf gehen wir ab und an gemeinsam.” Kein Wunder, dass Falk und die Söhne Alexander – er hat die Familienbäckerei inzwischen übernommen – und Sven dem Harald Hallo sagen, als er am 10. Januar wieder mal ins Bäckerei-Café am Forstweg schaut. Bernd Friedrich hat Auer Stadionprogramme mitgebracht und Mothes lobt die Gründlichkeit des Autoren, der schon zu seiner aktiven Zeit dafür am Ball war: „Du warst immer sehr genau, jede Zahl musste stimmen und stimmte. Das wurde nicht nur von uns Auern geschätzt, auch in anderen Mannschaften schworen sie auf Deine Statistiken. Zu jedem Spieler der DDR-Oberliga hattest Du in A-4-Heften die aktuellen Zahlen parat: Geburtstage, Zahl der Einsätze und Tore, frühere Vereine und Wechsel, Karten… Manche kannten ihre eigene Bilanz nicht so exakt wie der Bernd, sie freuten sich aufs Auer Stadionheft, um sie zu erfahren. Toll, dass Du auch 2022 die Hefte weiter mit machst!”

Der Aue-Stürmer im FDGB-Pokal-Hinspiel gegen den BFC Dynamo, das die Erzgebirger am 3. November 1984 gegen den Favoriten mit 3:1 gewannen. Foto: Frank Kruczynski

Harald weiß noch gut, wie er mit Vater Lothar Mothes oder Schulfreunden zu Fuß zum Grotewohlstadion lief. „Ich erinnere mich an ein Hammertor von Bernd Bartsch gegen den BFC. Wie ’n Strich jagte sein Ball oben ins Kreuz, Bartsch war von da an mein Lieblingsspieler.” Die Fuwo schrieb zu dem Spiel vom 12. Juni 1971: „Noch wenige Sekunden waren im Treffen zwischen Wismut Aue und dem BFC Dynamo zu spielen, als Bernd Bartsch von der gastgebenden Elf das Leder aus 25 Metern unhaltbar zum 2:2 in die Maschen setzte. Dieses Tor bedeutete den Klassenerhalt für die Erzgebirger!” Ein Traum wurde war, als Mothes vier Jahre später selber zum Oberliga-Kollektiv seiner Wismut gehörte.
Am 28. November 1956 in Lößnitz geboren, probierte er es in der Jugend mit Leichtathletik, Volleyball, Crossläufen und Tischtennis, ehe er sich endgültig für Fußball entschied. Mit zehn Jahren kam er zu Motor Lößnitz, durfte bald bei den nächstgrößeren Jungs mittrainieren, schaffte es in die Kreis- und Bezirksauswahl. „Unvergessen bleibt, als ich mit einem Juniorenteam vor vollen Rängen im Dresdner Harbigstadion spielen durfte. Es war das Vorspiel der DDR-Olympiaauswahl, die an dem Tag Italien empfing.”
1972 stieß der 15-Jährige zum Veilchen-Nachwuchs, Trainer wie Armin Günther, Siegfried Wolf und Horst Neff prägten seine Entwicklung. Schon drei Jahre später berief Coach Bringfried Müller den jungen Mittelstürmer sowie Torwart Jörg Weißflog in den Oberligakader. Das erste Punktspiel bestritt Harald am 27. August 1975 bei Stahl Riesa (1:1), als er für Frank Stein eingewechselt wurde. Das erste Tor gelang ihm am 9. Oktober 1976 gegen den HFC Chemie (1:1).

Einen historischen Erfolg über Lokalrivale Sachsenring Zwickau feiern die Auer am 25. September 1982. Den 6:0-Endstand besiegelt hier Wismut-Stürmer Mothes, der den Ball über Torwart Thomas Alscher lupft. Foto: Frank Kruczynski

Schon im folgenden Monat musste er zur Armee. Nach der Grundausbildung spielte er bei Vorwärts Plauen, zunächst freilich nur in der zweiten Mannschaft, weil er nur anderthalb Jahre dienen wollte. Nach einigen Monate durfte er dann trotzdem für die Erste auflaufen. In der DDR-Liga, der zweithöchsten Klasse der Republik, bestritt der Angreifer in zwei Saisons 24 Spiele in der Staffel D und schoss dabei 13 Tore. „Wir hatten zwei-, dreimal in der Woche Training und am Wochenende Spiel. Ansonsten schoben wir Dienst wie alle, hatten aber dank Fußball reichlich Ausgang”, erzählt der Erzgebirger. Nach einem halben Jahr bei der „Asche” fuhr er zusammen mit anderen „Fußball-Soldaten”  nach Frankfurt/Oder. „Wir sollten dort für den FC Vorwärts in der Oberliga spielen, müssten aber für drei Jahre in der NVA unterschreiben. Ich lehnte ab und machte bei Vorwärts Plauen weiter”, erinnert sich Harald. Der ehemalige DDR-Nationaltorwart und Frankfurter Club-Vorsitzende Karl-Heinz ,Spicke’ Spickenagel besuchte mich danach in Aue, ich sollte es mir noch mal überlegen.”
Im April 1978 kehrte Mothes zur BSG Wismut zurück. Hans-Ulrich Thomale sei der Top-Trainer während seiner Laufbahn gewesen, betont er. „Er hat mich vom durchschnittlichen Oberligazum Auswahlspieler entwickelt. ,Ulli’ hat viel gefordert, uns Spieler aber mitgenommen und moderne Trainingsmethoden aus Jena mitgebracht, die wir nicht kannten. Ich war eher ein zurückhaltender Typ, doch Thomale hat mich dass ich auf dem Platz nicht so brav, sondern bissig auftreten sollte.”

Harald Mothes bedankt sich nach Ende des letzten Punktspiels bei den Wismut-Fans für die Unterstützung – nicht nur hier am 1. Juni 1985 beim 1. FC Lokomotive Leipzig, sondern während der gesamten Saison. Mit 32 Punkten belegten die Veilchen 1984/85 sensationell Platz vier und qualifierten sich damit für den UEFA-Cup. Foto: Frank Kruczynski


Mit seinen Leistungen weckte der Wismut-Fußballer das Interesse von Nationaltrainer Bernd Stange. Die DDR-Sportführung öffnete 1983 endlich auch BSG-Spielern die Türen zu Auswahlteams. Zusammen mit Keeper Jörg Weißflog flog Mothes Anfang 1984 in den Irak, wo eine Oberligaauswahl zwei Partien gegen die dortige Nationalelf bestritt. Beide Begegnungen endeten 1:1. In der ersten (3.2.) durfte Mothes bis zur 82. Minute ran, in der zweiten (6.2.) stand Flocke zwischen den Pfosten. Mitten in Bagdad traute der Aue-Stürmer seinen Ohren nicht, als ihm aus dem orientalischen Menschengewühl jemand laut „Glück auf Harald!” zurief. „Es war ein Monteur aus dem Erzgebirge, der für seinen Betrieb im Irak arbeitete. In einem Pick-up chauffierte er mich durch die Hauptstadt. Unvergesslich.”
Am 28. März 1984 bestritt Mothes gegen die CSSR (2:1) in Erfurt sein einziges A-Länderspiel für die DDR, wurde in der 60. Minute eingewechselt. Er war damit seit Manfred Kaiser 1964 der erste Auer, der wieder ein Länderspiel bestritt. Schon im nächsten, gegen Mexiko im August 1984, feierte Mannschaftskollege Jörg Weißflog sein Länderspieldebüt. Eine Zukunft im Nationalkader bekam Mothes im Gegensatz zu Weißflog nicht, weil auf seiner Position der Konkurrenzkampf größer war.
Dafür wurde Mothes ab 1984 in der Olympiamannschaft der DDR zusammen mit Jörg Weißflog eine feste Größe. Harald bestritt insgesamt 29 Begegnungen in der Olympiamannschaft und erzielte dabei drei Tore. 1984 hatte sich die Olympia-Auswahl für die Spiele in Los Angeles qualifiziert, es hätte der Höhepunkt in Mothes’ Laufbahn werden können. Doch die Sportler der DDR durften nicht hin, die kommunistischen Staaten boykottierten das Ereignis aus politischem Kalkül. „Für mich war das ein Schock. Ich erfuhr es auf dem Flughafen in London, auf der Rückreise von einem Freundschaftsspiel der  Nationalelf in Nordirland. Die Schlagzeilen der englischen Zeitungen verkündeten den Boykott, als die DDR noch offiziell schwieg”, erinnert sich der Wismut-Stürmer. „Nachdem wir in Schönefeld gelandet waren, nahmen uns Funktionäre zusammen und versuchten die Polit-Entscheidung zu begründen. Ich erinnere mich noch an den Satz: ,Es ist viel zu gefährlich für DDR-Sportler in Amerika…’”

Der Leipziger Stephan Fritzsche kann Harald Mothes’ Sturmlauf nicht stoppen. Am 2. September 1983 besiegen die Erzgebirger die BSG Chemie im Punktekampf 3:1. Foto: Frank Kruczynski

Von 1975 bis 1990 bestritt Mothes 363 Pflichtspiele für Wismut Aue und schoss dabei 106 Tore. Als vierter Spieler nach Willy Tröger mit 141, Armin Günther mit 115 und Klaus Zink (104) trat er in den „Club der Hundert-Tore-Spieler” ein. Harald dürfte noch einen Auer Rekord halten: Er stand zwischen Ende 1979 und Sommer 1985 in allen 171 möglichen Pflichtspielen der BSG Wismut Aue auf dem Platz. Die Serie begann am 1. Dezember 1979 mit dem Oberligaspiel bei Sachsenring Zwickau (0:0) und endete erst am 3. August 1985 mit der Intertoto-Cup-Partie bei Viking Stavanger (1:0 für Aue). In dieser Zeit waren das also 146 Oberliga-Partien am Stück, 13 FDGB-Pokalspiele und zwölf Intertoto-Cup-Einsätze für Wismut Aue. Die Serie riss am ersten Spieltag der Saison 1985/86 in Dresden; an jenem 17. August 1985 stand er nicht bei der 0:2-Niederlage gegen Dynamo auf dem Platz.
Neben den UEFA- und Intertoto-Cup-Spielen blieben ihm jede Menge Oberliga-Begegnungen im Kopf. Darunter ein 6:0-Sieg gegen Sachsenring Zwickau, zu dem Harald drei Treffer beisteuerte. Natürlich auch der 2:0-Sieg 1985 gegen den 1. FC Magdeburg, mit dem Wismut sensationell den Tabellenrang vier klar machte: „Ich hab’ dabei das 2:0 gemacht.” Überdies galt Mothes als verlässlicher Elfmeterschütze. Die ersten beiden hatte er noch versemmelt. Im September 1978, im Heimspiel gegen den FCK, hielt Keeper Krahnke seinen Strafstoß beim Stand von 0:2 gegen Aue. Warum schoss Holger Erler nicht, der zuvor von 16 Elfern 14 verwandelt hatte? „Keiner wollte damals Verantwortung übernehmen, auch ,Erle’ als Schütze vom Dienst nicht. ,Mach’ du mal!’, schob einer dem andern die Bürde zu. Da hab ich es halt versucht.” Auch den nächsten Elfmeter Anfang Mai 1980 in Riesa, bei der 0:4 Niederlage dort, versemmelte er – drüber. Um dann erst wieder im September 1988 gegen Cottbus vom Punkt anzutreten. Von da an saß jeder Versuch (siehe Statistik auf Seite 23).
Zum Bezirksderby gegen den FC Karl-Marx-Stadt am 4. Mai 1990 (1:1) gab Harald seinen Abschied aus Aue offiziell bekannt, vorm Anpfiff war er an dem Tag für sein 300. Oberligaspiel für Aue geehrt worden. Am Ende seiner Wismut- Zeit musste er noch erleben, dass seine Mannschaft nach einer verkorksten Saison 1989/90 erstmals in die DDR-Liga abstieg.
Mothes galt während seiner aktiven Zeit als einer der torgefährlichsten Stürmer der DDR-Oberliga. Seinen letzten Treffer für Wismut Aue erzielte er am 26. Mai 1990 im Berliner Friedrich- Ludwig-Jahnsportpark mit dem 1:0 in der 22. Minute beim 4:1-Sieg über den FC Berlin. Es war sein letztes Spiel für Aue. Zwei Tore fehlten zum Klassenerhalt, doch das sei nicht der Grund für das Scheitern gewesen: „Wir hatten es in den Heimspielen zuvor vergeigt. Vor allem aber gelang es nicht, die Perspektivspieler André Köhler, Thomas Weiß und Jens König zu ersetzen.” Sie hatten die Mannschaft beim Intertoto- Cup-Spiel bei Örgryte Göteborg im Juli ’89 in Richtung BRD verlassen. Selber wäre Flucht aus der DDR keine Option gewesen: „Ich hatte eine super Familie und mit meinem Leben als Fußballer war ich hochzufrieden. Ich bin ein bodenständiger Mensch.”
Ein Jahr später, 1990, ging Harald dennoch in den Westen. „Ich war 33 Jahre alt, hatte zwei Kinder und brauchte Zukunftsgewissheit. Der ambitionierte TSV Ampfing bot sie mir und ich habe dann ja auch noch neun schöne Jahre lang für den Verein gespielt”, begründet Mothes den Umzug nach Oberbayern.
Mit dem frühen Tod seiner Frau und von Maik, des älteren Sohnes, musste er schwere Schicksalsschläge meistern. Im Krankenhaus von Mühldorf am Inn arbeitete er als Archivar und seit vorigem Jahr ist der 65-Jährige Rentner. In die alte Heimat, wo seine Eltern wohnen, reist er häufig. Sobald wieder Zuschauer erlaubt sind, möchte er bei der Gelegenheit gern auch das eine oder andere Match seiner Veilchen schauen. Besonders freut er sich über das „lila Blut” von Enkel Dominik. Maiks Sohn ist nicht nur begeisterter Fußballer in der Nähe von Erlangen, wie Opa Harald ist der Zwölfjährige ein riesengroßer Veilchen-Fan.

Text: Olaf Seifert
Vielen Dank für die Recherchen an Bernd Friedrich und Burkhard „Burg” Schulz.