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„WAS ICH MACHE, MACH’ ICH ZU 100 PROZENT” Weltklassestürmer ANDRZEJ JUSKOWIAK wird heute 50 Jahre alt

„Ich wollte wieder in Europa spielen, egal wo. Am liebsten nicht zu weit weg von Polen und der Familie”, antwortet „Jusko”, gefragt nach dem Motiv, nach Aue zu wechseln. Seine letzte Station, die New York Metro Stars, waren 2003 eine spannende Erfahrung, aber das Fußballfeuer, wie er es aus Europa kannte, vermisste der polnische Nationalstürmer – geboren am 3. November 1970 im Städtchen Gostyn bei Poznán – im Giant Stadium von New Jersey wie überhaupt beim American Soccer.

Sein Berater hatte den Kontakt zu Bayer Leverkusen geknüpft, Juskowiak flog zu Testspielen nach Spanien, wo auch die Auer sich vorbereiteten. Als es mit Bayer nicht so recht klappte, ergab sich ein Einsatz beim FC Erzgebirge. „Ich spielte mit den Veilchen gegen Leverkusen, habe auch ein Tor geschossen. Ich überlegte eine Weile, denn wenn ich etwas mache, dann zu hundert Prozent. Mit Gerd Schädlich gab es einen Trainer, der in Aue sehr gute Arbeit leistete und alles im Griff hatte. Aber die Mannschaft war aufgestiegen, sie brauchte einen erfahrenen Spieler, der führte und kämpfte. Das reizte mich”, erinnert sich der Angreifer.


Schädlich sei anfangs skeptisch gewesen, immerhin war Andrzej damals 33. Doch schon im ersten Spiel im lila Dress, beim 1:1 in Regensburg, überzeugte der Neue seinen Coach vollends, erzielte dort beim Rückrundenauftakt seinen ersten Treffer. „Dieses Tor war wichtig für mich, es gab mir gleich Selbstvertrauen.” Die Erzgebirger verließen die Abstiegsränge und schafften am Saisonende sensationell und mit 48 Punkten Platz acht. „Jusko” und Khvicha Shubitidze steuerten damals jeweils acht der 47 Auer Treffer bei.
110 Zweitligaeinsätze bestritt Juskowiak zwischen dem 1. Februar 2004 und seinem letzten Spiel am 20. Mai 2007 in Aue gegen den TSV 1860 München für die Lila-Weißen, er schoss dabei 33 Tore. Mit ihm belegte der vor jeder Saison stets als Abstiegskandidat gehandelte FC Erzgebirge danach die Plätze sieben (2005, 2006) und zehn (2007). Aue war nie ein Pflaster für Stars. Wenn es vielleicht doch einen gab, dann Juskowiak. Wegen seiner Leistungen und seiner Einstellung, denn Allüren kannte der fleißige, besessene Arbeiter nicht. Unvergessen bleibt ihm der Pokalkrimi am 26. Oktober 2005 gegen Rekordmeister Bayern München, auch wenn seine Mannschaft am Ende mit 0:1 verlor.


Achtung zollte der Leitwolf Gerd Schädlich: „Er hat von allen gefordert, nie zufrieden zu sein. Die Spieler haben es kapiert.” Zwischen ihnen habe es ohne viele Worte funktioniert, der routinierte Profi brachte seine Qualität ein, führte und rackerte. Der Trainer hatte alles unter Kontrolle. „Ein erfahrener Spieler ist nicht dazu da, viel zu laufen, er muss wissen, wo er steht”, ist der 39fache Nationalspieler (13 Tore) überzeugt. Dabei, setzt er schmunzelnd hinzu, laufe er heute mehr als früher: „Muss ich auch, meine Frau Iwona kocht einfach zu gut...”
Begonnen mit Laufen und Kicken hatte der spätere Weltklassefußballer mit etwa sieben Jahren im kleinen Dorf Sikorzyn und im benachbarten Städtchen Gostyn. „Wir spielten Straße gegen Straße. Als Jüngster musste ich oft ins Tor, doch ab der zweiten Klasse habe ich dann die Tore gemacht. Bei Kania Gostyn lernte „Jusko” das Fußball-ABC, mit 17 wurde er zum Spitzenklub Lech Poznán delegiert, mit dem er polnischer Juniorenmeister wurde und schon als 19-Jähriger in der 1. Liga stürmte, 1990 und 1992 die Meisterschaft gewann. 43 Tore in 95 Punktspielen für Lech, 1990 polnischer Torschützenkönig – das fiel auf. Zumal der Jungnationalspieler bei den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona Torschützenbester war und das Finale gegen Spanien erreichte. Bei Sporting Lissabon (1992 bis 1995) und Olympiakos Piräus (1995/96) konnte er seinen Ruf als Mittelstürmer von internationalem Format bestätigen. In der Bundesliga bekannt wurde er als Stürmer von Borussia Mönchengladbach (1996 bis 1998; 52 Punktspiele, 12 Tore) und des VfL Wolfsburg (1998 bis 2002; 108 Spiele, 39 Tore). Nach Gastspielen bei Energie Cottbus und in den USA vollendete der dreimalige Fußballer des Jahres in Polen seine große Laufbahn im kleinen Aue (2004 bis 2007). Juskowiak erkannte selbst den rechten Moment, um aufzuhören: „Mehr auf der Bank zu sitzen als zu spielen ist nicht mein Ding. Darum war 2007 Schluss auf dem Platz, aber dem Thema Fußball bleibe ich natürlich verbunden.”


So ist der nun 48-Jährige stets ein gefragter Kommentator polnischer TV-Stationen und Funktionär im polnischen Fußballverband. Als Scout und Stürmertrainer beim Erstligisten Lech Poznán arbeitete er anderthalb Jahre auch mit dem jungen Robert Lewandowski, er war fünf Jahre Co-Trainer der polnischen U-21-Auswahl und hat als Vizepräsident des Verbandes der Woiwodschaft Wielkopolska speziell für den Nachwuchs in seiner Heimatregion den Hut auf. Zudem ist der dreifache Fußballer des Jahres in Polen Präsident des Poznáner Klubs TPS Winogrady. Selber am Ball sein kann er seit drei Jahren aufgrund früherer Verletzungen nicht mehr wirklich, freut sich aber, dass der 17-jährige Sohn Jan Spaß am Fußball hat. Die Entwicklung beim FC Erzgebirge hat Andrzej seit seinem Abschied 2007 stets aufmerksam verfolgt: „Meine Erinnerungen an die Zeit in Aue sind rundum positiv. Ich habe immer mal mit Helge Leonhardt telefoniert, halte guten Kontakt zu Tomasz Kos und freute mich im März 2019 über die Einladung zur Lila-Weißen Nacht des Förderkreises nach Oelsnitz sehr. Es war schön, dort bekannte Gesichter zu sehen. Die Erfolge des Vereins kommen nicht von allein, dahinter steckt viel, viel Arbeit. Und es ist alles andere als einfach, im Profigeschäft immer die richtigen Entscheidungen zu treffen.” In Aue habe man also eine Menge richtig gemacht.

Text: Olaf Seifert
Fotos: Frank Kruczynski