Wismuts Elfmeter Spezialist Dietmar Pohl
Vor 45 Jahren startete die 24. DDR-Oberliga-Meisterschaft erst am 16. September. Der Grund für diesen späten Saisonauftakt waren die XX. Olympischen Sommerspiele, die vom 26. August bis zum 11. September 1972 in München stattgefunden hatten. Die BSG Wismut Aue ging gleichermaßen realistisch wie optimistisch in ihr 22. Oberligajahr in Folge.
Das Oberligakollektiv der BSG Wismut Aue in der Saison 1972/73, jeweils von links – hinten: Mannschaftsleiter Leinhos, Sektionsleiter Steinbach, Einsiedel, Spitzner, Teubner, Pekarek, J. Körner, Babik, Pohl, Schmiedel, Trainer B. Müller, Sportfunktionär Lorenz; Mitte: Kreul, Weiß, Thomas, H. Erler, Haubold, Seinig, Schüßler; vorn: Assistenztrainer Heine, Escher, Weikert, Fuchs, Ebert, Schaller, Becher und Masseur Dix. Bildquelle: Archiv Burg; Foto von Dietmar Pohl oben: Archiv Bernd Friedrich
Cheftrainer Bringfried Müller und sein Assistent Werner Heine, damals 41 beziehungsweise 36 Jahre alt, hatten schon im vorangegangenen Spieljahr (10. Platz) mit der Mannschaft einen Stilwandel begonnen. Sie wollten 1972/73 diesen Kurs der Verbesserung der spielerischen Substanz des Teams beibehalten. Dazu bauten sie auf die vorhandene günstige Altersstruktur (nur drei Spieler waren über dreißig Jahre alt) und die Harmonie des Kaders.
Zum Punktspielstart musste man in den Georg-Schwarz-Sportpark zum Aufsteiger BSG Chemie Leipzig reisen. Vor 16.000 Zuschauern konnte Günter Seinig (67.) die Führung der Chemiker durch Schubert (33.) noch ausgleichen. Eine Woche später hieß der Torschütze wieder Seinig, der in der 78. Minute den 2:0-Endstand im Heimspiel gegen den FC Rot-Weiß Erfurt besorgte. Für den Führungstreffer zeichnete Libero und Kapitän Dietmar Pohl verantwortlich, der einen Foulelfmeter (33.) verwandelte. Pohl, Jahrgang 1943, bestritt von 1962 bis 1975 insgesamt 306 Pflichtspiele für Aue und erzielte dabei 17 Tore. Der Verteidiger überzeugte vor allem durch sein gutes Stellungsspiel und seine Kopfballstärke, aber auch als eiskalter Strafstoßschütze. Dieses Tor gegen Erfurt war im Prinzip der Grundstein für den Sieg in der internen Oberliga-Elfmeter- Statistik 1972/73. Immer wenn es in dieser Saison Elfmeter für Wismut gab, trat Dietmar Pohl an. Siebenmal kam es zum Duell mit dem gegnerischen Torwart und sechsmal verwandelte er eiskalt. Alle sechs Elfmeter, bei denen er traf, schoss er im heimischen Stadion. Er zeigte scheinbar keine Nerven, denn gegen Union am 7. Spieltag traf er vom Punkt zum 2:1-Sieg in der 87. Minute. So wie auch gegen den 1. FC Magdeburg am 10. Spieltag in der 89. Minute, ebenfalls zum 2:1-Erfolg für die Veilchen. Am 13. Spieltag hieß der Siegtorschütze im Auer Otto-Grotewohl-Stadion wieder Dietmar Pohl – 1:0 per Strafstoß nach 29 Minuten gegen den BFC Dynamo.
In der über dreimonatigen Winterpause verlernte der Wismutspieler das Elfmeterschießen keineswegs. Das bewies er sofort beim Rückrundenauftakt Ende März 1973 im Heimspiel gegen Chemie Leipzig: Pohl trifft vom Punkt (29.) zum 1:1-Endstand. Sein sechster verwandelter Elfmeter am 17. Spieltag im Heimspiel gegen den FC Vorwärts Frankfurt/Oder reichte jedoch nicht zu einem Zähler, geschweige zu einen Sieg. Er erzielte damit nur das Anschlusstor (86.) bei der 1:2 Niederlage. Eine Woche später, Ende April 1973, riss die Serie dann doch. Im Derby beim FC Karl-Marx-Stadt jagte er einen Foulstrafstoß zwei Meter neben den Kasten von Torwart Wolfgang Krahnke. Zu diesem Zeitpunkt stand es 1:0 für den FCK. Am Ende Jubel im FCK-Lager, denn mit 4:0 siegten die Himmelblauen.
Dietmar Pohl wurde in jener Spielzeit mit insgesamt acht Toren interner Torschützenkönig bei Wismut Aue. Neben seinen sechs verwandelten Elfmetern traf er noch zweimal aus dem Spiel heraus. Gegen Zwickau rettete er so im April ’73 den einzigen Punktgewinn zwölf Minuten vor dem Ende, denn von den insgesamt vier gingen die anderen drei Derbys allesamt verloren. Damals wurden nur die Duelle innerhalb des Bezirkes Karl-Marx-Stadt gegen Sachsenring Zwickau und den FC Karl-Marx-Stadt als solche bezeichnet. Sein achtes und letztes Tor in der Saison 1972/73 gelang im Heimspiel gegen den 1. FC Lokomotive Leipzig am 21. Spieltag zum 2:2 Endstand (80.). Bemerkenswert: Dietmar Pohl brachte es zwischen November 1964 und Oktober 1970 zu 157 Oberligaspielen in ununterbrochener Folge. Diese Serie wurde nur deshalb unterbrochen, weil er sich am 6. November 1970 in Sofia in einem Freundschaftsspiel der BSG Wismut gegen die Nationalmannschaft Bulgariens einen Schien- und Wadenbeinbruch zuzog.
Wismut Aue spielte 1972/73 eine zufriedenstellende erste Halbserie mit 13:13 Punkten. Es folgte jedoch ein krasser Leistunsabfall in der Rückrunde, als nur noch ein einziger Sieg gelang – Anfang Mai ’73 gegen den späteren Absteiger HFC Chemie (3:2). Trotzdem geriet man nie in ernsthafte Abstiegsgefahr. Platz 11 mit sieben Siegen, sechs Unentschieden und 13 Niederlagen stand am Ende der Saison zu Buche. So spät, wie die Saison begann, so spät endete sie auch. Wegen zweier WM-Qualifikationsspiele der DDR-Nationalmannschaft für die 1974-er Endrunde in der BRD wurden die letzten fünf Punktspielrunden erst ab dem 9. Juni 1973 ausgetragen. Im Samstag-Mittwoch-Samstag-Rhythmus wurde die Saison dann bis zum 23. Juni 1973 zu Ende gespielt.
Zu denken gab jedoch der Zuschauerzuspruch. Die Armeefußballer von Vorwärts Frankfurt lagen in der Heimbilanz erneut am Ende der Oberliga-Zuschauertabelle (nur 6.000 im Schnitt), kaum besser waren Zwickau und Aue (6.769). Für Aue war das der bis dato schlechteste Besuch seit der Saison 1964/65, damals waren druchschnittlich nur 6.385 gekommen.
Text: Burg