Offenheit und Transparenz
Vorstands-Bitte um ein faires Derby ohne Angriffsfläche für Strafen
Während die Profimannschaft des FC Erzgebirge Aue genau wie alle Mitglieder und Fans auf das Sachsen-Derby vor ausverkauftem Stadion entgegenfiebern, arbeitet der fünfköpfige Vorstand des Vereins in enger Zusammenarbeit mit dem Verwaltungsrat und der Geschäftsführung im Hintergrund an einem tragfähigen „Fundament“ und dem Lizenzantrag für 2024/25. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft mit fließenden Übergängen gilt es zu bewältigen. Eine Herkulesaufgabe. Die Vorstände Thomas Schlesinger und Jörg Püschmann geben Einblick in aktuelle Herausforderungen.
Wie gestaltet sich die finanzielle Planung bis zum Saisonende 2023/24?
Thomas Schlesinger: Weiterhin schwierig. Selbstverständlich hatten wir als Vorstand den Anspruch, den Verlust des Vorjahres in Höhe von über 1,5 Millionen Euro erheblich zu reduzieren, bestenfalls auf ein ausgeglichenes Ergebnis zu kommen. Dies war unter Berücksichtigung der Bestandsverträge aber bereits im Februar 2023 Wunschdenken. Wenn wir es positiv formulieren wollen, dann haben wir den Verlust um mehr als 1 Million Euro verringert. Allerdings liegen wir immer noch bei einem prognostizierten Fehlbetrag von etwa 400.000 Euro. Dies haben wir den Mitgliedern bei der Jahreshauptversammlung im Dezember bereits mitgeteilt und können damit nicht zufrieden sein, da unser Eigenkapital bereits durch den letztjährigen Verlust nahezu aufgebraucht war, wir also keinerlei bilanzielle Reserven mehr haben.
Woraus resultieren die Abweichungen zum ursprünglichen Plan?
Thomas Schlesinger: Die Kaderkosten im Lizenzbereich sollten um über 1 Million Euro gegenüber der Vorsaison gedrückt werden. Das haben wir fast, aber eben nicht ganz erreicht mit immerhin 800.000 Euro Einsparung wegen der Bestandsverträge aus der Saison 2022/23 und zusätzlichen Kosten durch Auflösung von Verträgen. Beim Nachwuchsleistungszentrum wollten wir den Rotstift mit 250.000 bis 300.000 Euro ansetzen. Auch dort waren es dann „nur“ 150.000 Euro Budget-Reduzierung, was schmerzhaft genug ist für die Kumpelschmiede. Erfreulich sind nach wie vor die erzielten Steigerungen der Einnahmen im Sponsoring und die von den Mitgliedern beschlossene Beitragserhöhung. Herzlichen Dank an alle, die das ermöglicht und mitgetragen haben. Da diese zusätzlichen Einnahmen wie auch die Vermarktung des Stadionnamens in Form der erfolgreichen Crowdfunding-Aktion einkalkuliert waren, hatten diese Gelder keinen zusätzlichen Entlastungseffekt. Die wirtschaftliche Situation ist bekanntlich in nahezu allen Bereichen der Gesellschaft angespannt, da bildet der FC Erzgebirge keine Ausnahme. Inflation, Preisexplosionen, verdreifachte Energiekosten schlagen zu Buche, beim Verein und bei vielen Partnern und Dienstleistern. Diese Gemengelage wird am 30. Juni 2024 bei allem Kostenbewusstsein finanziell erneut zu einem unbefriedigenden Saison-Ergebnis führen.
Wie ist der aktuelle Stand bei den „gestundeten“ Zahlungen an den Landkreis?
Thomas Schlesinger: Ziel der Stundung war vor allem, Zeit zu gewinnen zur Prüfung aller damit zusammenhängenden Verträge. Dieser Prozess ist nun weitestgehend abgeschlossen. Mit der Prognose für die laufende Saison und der Planung für 2024/25 brauchen wir mit dem Landkreis nun eine mittelfristige Lösung, die dem Leistungsvermögen des Vereins entspricht. Wir stehen zu Verträgen aus der Vergangenheit, müssen aber auch gewissenhaft über andere Modalitäten nachdenken. Fakt ist, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit in der 3. Liga nicht annähernd vergleichbar mit der in der 2. Bundesliga ist. Das Szenario 3. Liga wurde offenbar beim Abschluss zahlreicher Verträge, somit auch des Pachtvertrages mit dem Landkreis, entweder unterschätzt oder nicht genügend berücksichtigt. Wir wissen aber den Landkreis an unserer Seite und allen Beteiligten ist klar, dass es nur einen gemeinsamen Weg geben kann. Mit den Betriebskosten von fast 1 Million Euro pro Jahr für das gesamte Areal ums Erzgebirgsstadion stemmen wir als Verein einen erheblichen Teil, über den kaum jemand spricht. Das kommt bei den vielen Diskussionen um die Pacht in Höhe von 250.000 Euro zu kurz.
Gibt es bereits ein tragfähiges Konzept für 2024/25?
Thomas Schlesinger: Die permanente Überprüfung aller Kostenblöcke geht natürlich bereits jetzt schon mit der Einreichung der Lizenzunterlagen für die kommende Saison einher und die letzten beiden Vorstandssitzungen waren im Wesentlichen davon geprägt, erneut den Rotstift anzusetzen bei gleichzeitigem Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit. Der Etat für den Lizenzspielerbereich und die Kosten für das Nachwuchsleistungszentrum werden voraussichtlich erneut um 500.000 Euro eingekürzt und ehrlich gesagt macht das keinem Beteiligten im Haupt- und Ehrenamt Spaß. Wir werden nochmals Verträge mit Dienstleistern prüfen müssen, denn selbst in der nächsten Saison ist bei realistischer Einnahmenplanung derzeit ein erneuter Fehlbetrag in der Größenordnung um 400.000 Euro die heutige Prognose. So offen und transparent müssen wir das unseren Mitgliedern und Fans mitteilen.
Natürlich macht uns dabei mangelndes Eigenkapital des Vereins erheblich zu schaffen. Gejammer und der Blick zurück auf die schönen sechs Jahre 2. Bundesliga mit Etats um 20 Millionen Euro helfen uns aber nicht weiter. Wir als Vorstand und als Geschäftsführung müssen uns daran messen lassen, wie wir diese permanente Aufgabe der Stabilisierung des Vereins angehen, die Probleme meistern und gleichzeitig den Verein weiterentwickeln. Mit dem erklärten Ziel, die Prognose perspektivisch möglichst in ein ausgeglichenes Jahresergebnis verwandeln zu können. Weitere Potentiale auf der Einnahmenseite gilt es zu erschließen, dafür bedarf es auch einer Anpassung von Personalstrukturen, insbesondere was Verantwortlichkeiten und Aufgaben anbelangt, das alles ohne Verschlechterung der Kostensituation, was schon fast ein Kunststück ist. Weitere Ideen und Lösungen ähnlich der Crowdfunding-Maßnahme gemeinsam mit Sponsoren, Mitgliedern und Fans sind notwendig, die Zufriedenheit der letzten sechs Jahre weicht unter dem jetzigen Druck mehr und mehr der Erkenntnis, dass neue Wege der Einnahmengenerierung erschlossen werden müssen, denn auf den großen Scheck der DFL, wie in der 2. Liga, warten wir derzeit vergeblich.
Wie wird die Stimmung in der Fanszene des FC Erzgebirge Aue speziell im und zum Verein bewertet?
Jörg Püschmann: Absolut positiv. Das haben wir natürlich auch der Mannschaft zu verdanken, die eine solide Saison spielt. Dass wir herausragende Fans haben, wissen wir seit langem. Wir dürfen nicht vergessen, was Fußballfans im Allgemeinen und den FCE-Anhängern im Besonderen in den vergangenen Jahren alles zugemutet wurde. Erst kam Corona und niemand durfte ins Stadion. Dann ging es sportlich bergab mit Frust beinahe Woche für Woche inklusive Abstieg, trotzdem blieb die Unterstützung von den Rängen ungebrochen. Die größte Stärke unserer Fanszene ist das feine Gespür für die Situation auf dem Feld und generell für den Club. Auch die Kreativität bei Choreografien und der Support waren stets lobenswert. In Aue wird auch schnell mal gemeckert, das kann man niemandem verdenken. Doch wenn‘s drauf ankommt, stehen alle zusammen und es geht nur um den FCE. Dafür sind wir unglaublich dankbar.
Strafen durch den DFB sind aktuell in aller Munde …
Jörg Püschmann: Dass Entscheidungen in Frankfurt am Main manchmal realitätsfremd erscheinen, ist kein Geheimnis. Doch in den vergangenen eineinhalb Jahren wurden Sportgerichturteile immer absurder. Manche Strafen sind niemandem mehr zu vermitteln. Es ist richtig, Angriffe auf körperliche Unversehrtheit zu sanktionieren, zum Beispiel wenn eine Rakete in andere Zuschauerbereiche geschossen wird. Dann allerdings ein nicht beleidigendes Spruchband oder ironische Zuschauerrufe mit dem gleichen Strafmaß zu belegen, verursacht einfach nur Kopfschütteln. Die Rakete gehört sanktioniert, das Spruchband nicht. Wie die Stimmung im Moment aussieht, zeigen die wöchentlichen Proteste gegen die Investoren in der DFL. Da bleibt abzuwarten, wie das Verbandsgericht entscheidet. Laut Strafenkatalog kostet jeder Tennisball in der 3.Liga 300 Euro plus 25 Prozent Aufschlag bei Spielunterbrechungen. Bei 100 Tennisbällen kann sich jeder ausrechnen, welche Strafen den Vereinen drohen. Wenn das rigoros durchgesetzt werden soll, wird der Keil zwischen Fans und DFB noch größer. Zumal die Proteste dadurch sicher nicht aufhören.
Grundsätzlich sind wir gut beraten, die Dinge differenziert zu betrachten und nicht alles über einen Kamm zu scheren oder an Strafen festzumachen. Frei nach dem Motto: Was Geld kostet ist schlecht und verboten, was keine Strafe einbringt ist okay und erlaubt. Das ist zu einfach und mindestens grenzwertig. Sinnvoller und zielführender ist es, was wir als Verein wollen und dulden. Rote Linien dürfen nicht überschritten werden. Dazu gehören Sachbeschädigungen wie zum Beispiel die Zerstörung ganzer Toilettenanlagen. Ein absolutes „No Go“. Das sieht die aktive Fanszene übrigens genauso. Gleiches gilt für Gewaltakte jeglicher Art - und dazu zählt auch fliegende Pyrotechnik. Gleichzeitig haben wir als Vorstand eine Verantwortung dafür, unsere Fans und den Verein vor lebensfremden Sanktionen, Sippenhaft und Kriminalisierung zu schützen. Wir brauchen untereinander ein klares Übereinkommen, was geht und insbesondere was nicht geht.
Wie ist die Entwicklung zwischen Fans und Verein in den vergangenen 14 Monaten einzuschätzen?
Jörg Püschmann: In meiner Wahrnehmung haben wir einen großen Schritt nach vorne gemacht. Auch und insbesondere was das gegenseitige Verständnis aller Zuschauer und Mitglieder betrifft. Mit neuen handelnden Personen braucht es immer gewisse eine Anlaufzeit, was Vertrauensbildung und die Arbeitsweise betrifft. Das hat anfänglich geholpert und läuft jetzt deutlich besser. Natürlich bleibt auch dort Luft nach oben. Die Stichworte lauten Gesprächsbereitschaft, Offenheit und Transparenz. Einfach mal Tacheles reden, wie es wirklich aussieht. Auch auf die Gefahr hin, einen auf den Deckel zu bekommen, weil es eben ehrlich und authentisch ist statt Floskel oder Phrasendrescherei. Das hat enorm viel bewirkt.
Wichtig sind auch hier Differenzierung und Gelassenheit. Nicht sofort Poltern, sondern die Dinge intern besprechen und bestenfalls beide Seiten und Argumente anhören. Wir haben zum Beispiel die Kumpelgruppe gegründet, in die nun wieder Bewegung kommt. Lizenzierung und die aktuell enorm hohe Arbeitsbelastung inklusive hohem Krankenstand ließen zuletzt wenig zu. Was wir auch vermeiden wollen: alles bewerten und kommentieren, uns zu jedem Vorfall ohne Hintergrundwissen reflexartig positionieren. Für Vergehen mit strafrechtlichem Hintergrund gibt es starke Gesetze in Deutschland. Diese werden in der Regel auch durchgesetzt.
Übrigens: In den vergangenen 20 Jahren hat sich vieles in den Stadien gebessert, das wird oft vergessen. Sachbeschädigung und körperliche Auseinandersetzungen kamen damals deutlich häufiger vor und trotzdem kommt das Gefühl auf, es sei schlimmer geworden. Fans stehen heute einfach mehr im Fokus. Mitunter sind die Fankurven sogar besser als das gebotene Fußballspiel. Durch zahlreiche Kameras, Fotografen, Zeitlupen und Sensationsgier wird inzwischen kaum noch differenziert und aus jeder Rangelei ein „Skandal“ kreiert. Um ein anderes Beispiel zu bemühen: Sachbeschädigung im Zug muss und darf zurecht kritisiert werden. Dass aber ein heillos überfüllter Zug mit hunderten Passagieren und Mini-Mülleimern verschmutzter ist als ein Waggon mit drei Fahrgästen, sollte kein Anlass für eine Negativschlagzeile sein. Weil es in der Natur der Sache liegt. Dieses Vermischen von Handlungen und Sichtweisen, das Schubladendenken, das Befeuern von Klischees führen nur dazu, dass die wirklich relevanten Themen auf der Strecke bleiben.
Zuletzt musste der Vereine eine drastische Strafe zahlen. Wie lief die mündliche Verhandlung?
Jörg Püschmann: Klar ist: Jeder Euro Strafe an den DFB ist einer zuviel. Im Vergleich zum Vorjahr mit dem FC Erzgebirge Aue als Rekord-Zahler ist die Entwicklung jedoch durchaus positiv. Zuletzt tat uns die jüngste Strafe von 19.000 Euro wegen Zuschauerrufen dennoch extrem weh. Wir hatten Einspruch eingelegt und konnten die Summe in der mündlichen Verhandlung zumindest etwas drücken. Uns fehlt allerdings jegliches Verständnis für den moralischen Zeigefinger mitsamt einer strittigen Interpretation durch den Verband. Mit diesem Unmut sind wir nicht allein.
Insgesamt fehlt einfach das Augenmaß. Hinzu kommt die Intransparenz. Wie kommen die ausgesprochenen Strafen zustande, was passiert wirklich mit den Geldern? DFB und DFL haben inzwischen in weiten Teilen der bundesweiten Fanszenen jegliches Vertrauen verspielt. Ein ähnliches Phänomen mit Belehrungen von oben herab erleben wir in der Politik.
Vom Verband werden Strafen erlassen, die für die Vereine existenziell bedrohlich sind. Zum Beispiel beim Thema Diskriminierung. Ob etwas als diskriminierend empfunden wird, entscheidet nicht etwa der Betroffene, ein Gesetz oder oder ein ordentliches Gericht, sondern der Kontrollausschuss. Gern ohne plausible Begründung. Vereine werden zudem allzu oft allein gelassen mit den gesellschaftlichen Problemen. Wie sie gelöst werden sollen vor Ort, interessiert nicht. Es gibt einfach Strafen. Im Wiederholungsfall: noch mehr Strafe. Vielleicht haben die Verantwortlichen an den Schaltknüppeln schlicht vergessen, dass der Fußball mit vollen Stadien, Stimmung und Choreografien von den Fans, den Sportlern, den Vereinen lebt. Nicht von Funktionären. Wir brauchen wieder vernünftige Umgangsformen, eine Streitkultur auf Augenhöhe und kein die da Oben und die da Unten.
Thomas Schlesinger: Ich war vergangenen Freitag im Namen des FCE beim DFB in Frankfurt und bin mit gemischten Gefühlen heim gefahren. Einen Wegfall der Strafe für das Spruchband haben wir nahezu erreicht, eine drastische Reduzierung der Strafe für diskriminierende Rufe leider nicht. Letztendlich sehe ich neben der großen wirtschaftlichen Herausforderung eine wesentliche ausgleichende Aufgabe für den Vorstand. Dort, wo rechts- oder linksextreme Gedanken, wo Gewalt, wo Sachbeschädigung und fliegende Pyrogegenstände auf Rasen oder Tribünenblöcke unter dem „Deckmantel“ und mit Bezug zum FCE passieren, werden wir ganz klar einschreiten, im Zweifel mit Stadionverbot und Ausschluss aus dem Verein, um zukünftigen Schaden zu vermeiden.
Aber wenn wir zu dem Schluss kommen, dass Strafen weder transparent noch angemessen ausgesprochen werden, wenn keinerlei Differenzierung mehr erfolgt, wenn nicht mehr erkennbar ist, dass die Vereine auf Augenhöhe mit dem DFB diskutieren können, dann haben wir selbstverständlich auch zu reagieren. Von Meinungsfreiheit wollen wir da noch gar nicht sprechen. Der DFB entfernt sich immer mehr von der Basis und scheint es nicht zu merken. Es wird Zeit, dass man Veränderungen einfordert, auch wenn es angenehmere Dinge gibt, als Freitagnachmittag mit hoher Rechnung im Gepäck im Stau auf der Strecke Frankfurt – Aue zu stehen. Es werden zwar ganz „dicke Bretter“ zu bohren sein, aber es geht immer noch um Fußball, der von unseren Sportlern und unseren Vereinen organisiert wird und nicht um eine Dachorganisation, die mit der Bestrafung der Basis ein Geschäftsmodell entwickelt hat, welches allein aus demokratischer Sicht auf den Prüfstand gehört.